In fünf bis sechs Jahren Vollauslastung – so lautete bei Inbetriebnahme des Wilhelmshavener Tiefwasserhafens JadeWeserPort (JWP) am 21. September 2012 die Prognose des Experten Burkhard Lemper vom Bremer Institut für Seeverkehrswirtschaft und Logistik (ISL): Jüngst erinnerte der NDR in einem aktuellen Bericht an diese Einschätzung. Gestern wurde dieser Hafen, ausgelegt auf einen Jahresumschlag von 2,7 Millionen Standardcontainern (TEU), zehn Jahre alt – und ist von diesem vorhergesagten Ziel noch immer weit entfernt. Lemper indes sieht darin kein Problem: Man sei, so erläutert er dem NDR im Gespräch, von bestimmten Annahmen ausgegangen und die seien so nicht eingetreten; „das ist eben die Natur von Prognosen“.
Der Haken an der Sache ist nur: Jahr für Jahr benötigt dieser Hafen, für mehr als eine Milliarde Euro Steuergelder und unter erheblich verzögernden Pannen, Bauschäden und Rechtsstreitigkeiten in das Jade-Watt gerammt, hohe Zuschüsse der öffentlichen Hand. Erst vor knapp zwei Jahren war es deshalb zu einer kurzen Krise gekommen, als in der Freien Hansestadt Bremen „grundsätzlich eine Beendigung der bremischen Beteiligung“ erwogen wurde, die jedes Jahr sieben- oder achtstellige Zuschüsse verlangt. Aber der Streit versank in jenem Jadeschlick, der neben der Unterauslastung maßgeblich zur Kostentreiberei beiträgt, weil immer mehr gebaggert werden muss: Auch heute noch ist der JWP ein Gemeinschaftsprojekt der Bundesländer Niedersachsen (50,1 Prozent) und Bremen (49,9 Prozent).
Pannen, Schäden, Streitigkeiten…
Rückblick: Anfang der 1990er Jahre kam die Idee auf, an der Jade einen neuen Containerhafen zu bauen, der mit einer Fahrwassertiefe von rund 18 Metern („Tiefwasserhafen“) imstande sein sollte, die immer größer werdenden Containerschiffe abzufertigen und so den immer rasanter wachsenden interkontinentalen Warenumschlag zu bewältigen. Zur Jahrtausendwende wurde die Planung konkret, im Mai 2008 begannen die Bauarbeiten, vor zehn Jahren dann folgte die Inbetriebnahme. Zwar hatten sich seither viele Annahmen der Planer verändert oder erledigt, hatten besagte Pannen die Kosten-Nutzen-Prognosen gesprengt, hatte eine Weltwirtschaftskrise die Transportströme erst einbrechen und dann (etwa bei den Ostsee-Feederverkehren) teils drastisch verändert neu aufleben lassen – nichts konnte den Optimismus der nordwestdeutschen maritimen Wirtschaft und der beteiligten Landespolitiker bremsen.
Das hat sich bis heute nicht geändert. Jüngst erst lobte Niedersachsens Wirtschaftsminister Bernd Althusmann (CDU) die Entscheidung für den Bau des JWP als „strategisch richtig und klug“, sein Alleinstellungsmerkmal (des tiefen Fahrwassers) stärke die Wettbewerbsfähigkeit des maritimen Standorts Deutschland. Bremens Regierungschef Andreas Bovenschulte (SPD) zeigte sich laut Radio Bremen „davon überzeugt“, in zehn Jahren werde man „heilfroh sein, dass man das gemacht hat“.
…und Umleitungen
Ob der JWP bis dahin seine vorhandene Kapazität überhaupt ausschöpfen kann, bleibt offen – was die Macher nicht hindern dürfte, für Planung und vielleicht auch Ausbau weitere Steuergelder auszugeben. Fakt ist: Für das erste volle Betriebsjahr 2013 sagten Prognosen 700.000 TEU Umschlag voraus, es wurden aber nur rund 76.000 TEU – man erinnert sich an den Satz: „Das ist eben die Natur von Prognosen“. In den Folgejahren ging es zwar sehr langsam auf-, mit Corona dann wieder abwärts. Als aktuell im Februar 2022 Althusmann stolz das 2021-Ergebnis von knapp 713.000 TEU vermeldete, musste er einräumen, dieser Erfolg sei vor allem ungeplanten Schiffsanläufen zuzuschreiben, weil pandemiebedingt Liniendienste aus anderen Häfen umgeleitet wurden.
Jahr für Jahr gibt es immer neue Ankündigungen – etwa der Einstieg von Hapag-Lloyd oder das vereinbarte, aber bislang nicht realisierte chinesische Logistikzentrum –, die immer auch mit neuen Vorhersagen und Erwartungen verknüpft werden. Nur sind eben davon schon viele geplatzt oder verzögern sich. Aktuell versteigt sich die JWP-Marketinggesellschaft sogar (*) zu der markanten Prognose: „Es darf als sicher gelten, dass um die Mitte kommenden Jahres herum die Ladungsmengen durch die Decke gehen werden.“ – Immer wieder wird auch nach einer norddeutschen Hafen-Kooperation gerufen. Jüngst erst ist das wieder einmal geplatzt: Hamburg, das Anfang des Jahrtausends aus der gemeinsamen Länderplanung ausgestiegen war, bleibt weiterhin außen vor, seit rund anderthalb Jahren laufende Gespräche der Hafenbetreiber an Elbe und Weser sind im Juli dieses Jahres ohne Angabe von Gründen abgebrochen worden.
(*) In dem Beitrag wird nicht deutlich, ob es sich um eine
Meinung der Marketinggesellschaft oder ein Zitat aus der Fachzeitung DVZ handelt.
Nachtrag 20. Oktober 2022: Soeben hat die Wilhelmshavener Hafenwirtschafts-Vereinigung (WHV) laut einer Mitteilung der JWP-Marketinggesellschaft „in einem Schreiben die neue Landesregierung Niedersachsens dazu (aufgefordert), sich ernsthaft mit der Umsetzung der 2. Baustufe des JadeWeserPort zu befassen“. Der Lobbyistenzirkel erinnert dabei sogar mahnend an die „derzeit noch langen Genehmigungszeiten“ – was verklausuliert wohl den häufig zu vernehmenden Ruf nach Beschneidung von geltenden Bürgerrechten meinen soll.