Seit den 1970er Jahren gieren Industriestaaten und einschlägig interessierte Bergbaukonzerne nach den wertvollen mineralischen Ressourcen der Tiefsee. Jetzt droht diese Ausplünderung zu beginnen, weil die Weltgemeinschaft einmal mehr versagt hat: Am gestrigen Sonntag endete ergebnislos eine entscheidende Frist, die dies hätte verhindern oder zumindest bremsen können.
Es geht um Manganknollen, Kobaltkrusten und die so genannten Hydrothermalquellen am Meeresboden, allesamt potenzielle „Lieferanten“ teils seltener, meist wertvoller Metalle und weiterer Materialien. Immer wieder wird versucht, deren geplanten Raubbau in ökologisch höchst sensiblen Meerestiefen vor allem mit dem Argument „Klimawandel“ zu rechtfertigen: Es geht, kurz gesagt, um all jene Rohstoffe, die – so behauptet es die Industrieseite – angeblich unabdingbar sind für das Erreichen der Ziele des Pariser Weltklimavertrags von 2015. Es geht um die Gestaltung einer globalen Ökonomie, die fossile Zeiten durch Elektromobilität und Wasserstoffwirtschaft mittels Windrädern oder Solarpaneelen ersetzt.
Seit Jahrzehnten warnen Forschende – etwa des Potsdamer Helmholtz-Zentrums – und zivilgesellschaftliche Gruppen vor massiven Schäden für die Meeresumwelt: Die Ausplünderung der Tiefseeressourcen könne gerade jene Funktion des Meeres beeinträchtigen, die klimapolitisch von besonderer Bedeutung ist – die natürliche Speicherung von Kohlendioxid. Hinzu kommt massiver Widerstand etwa von Indigenen, die im pazifischen Raum gegen kapitalistische Übergriffe auf ihre kulturelle Identität protestieren, denn sie betrachten die Tiefsee als einen heiligen Ort.
Regelwerk mit Lücken
Der Streit begann vor mehr als 50 Jahren, als die UNO über das Seerechtsübereinkommen (UNCLOS) debattierte, das dann 1994 endlich in Kraft trat: In ihm wurden die Meeresbodenschätze zwar zum „gemeinsamen Erbe der Menschheit“ erklärt. Die Erarbeitung detaillierter Regeln aber und damit die Verwaltung dieses Gemeinguts wurde der eigens gegründeten International Seabed Authority (ISA) übertragen, einer UN-Behörde mit Sitz auf Jamaika. Seit Jahren wird dort unter anderem über die marinen Bodenschätze verhandelt – ein Umstand, der bis heute nur den wenigsten Menschen bekannt ist. Es geht um ein Regelwerk zum Tiefseebergbau, um einer völlig neuen Industrie den Weg zur Ausbeutung zu ebnen – oder zu verbauen. dort wird das Regelwerk verhandelt, das einer völlig neuen Industrie den Weg zur Ausbeutung ebnen – oder verbauen kann.
Ein wesentliches Argument gegen den Rohstoffabbau ist der eklatante Mangel an fundierten Kenntnissen über die Lebensräume der Tiefsee, einschließlich ihrer Ökosystemfunktionen – nicht nur, wie erwähnt, zur Klimaregulierung, sondern auch zur Gewährleistung globaler Ernährung. Mehr als 600 Forschende hatten deshalb die ISA aufgefordert, alle Ausbeutungspläne zumindest so lange zu stoppen, bis derart kritische Wissenslücken geschlossen sind.
Vergeblich: Im Sommer 2021 beantragte der pazifische Inselstaat Nauru bei der ISA für das Bergbauunternehmen Nauru Ocean Resources (NORI) eine Genehmigung zur Rohstoffausbeutung. Damit wurde laut UNCLOS eine jetzt auslaufende Zwei-Jahres-Frist in Gang gesetzt, in der es möglich gewesen wäre, ein Regelwerk zu vereinbaren. Da dies aber bis zum Wochenende nicht gelang, ist das weitere Vorgehen strittig. Manche UNCLOS-Mitgliedsstaaten sehen im Fristablauf den Startschuss zum profitablen, aber eben riskanten Abbau. Andere – offiziell auch Deutschland – plädieren für eine Entschleunigung und lehnen einen Start des Raubbaus in nächster Zeit ab.
Verlierer und Profiteure
„Offiziell“ heißt indes: Deutschland zählt ebenso wie Großbritannien oder China zu den Staaten, die laut SPIEGEL seit langem intensiv erkunden, wie kommerzieller Abbau ermöglicht werden kann. Und mit der „Deep Sea Mining Alliance“ (DSMA) gibt es hier eine mächtige Lobby für baldigen Abbau, nur die wachsende zivilgesellschaftliche Kritik am Tiefseebergbau bremst momentan noch. Welche Tricks auf dem Wege zum baldigen Raubbau üblich sind, zeigt ausgerechnet das aktuelle Beispiel Nauru: Das Unternehmen NORI, im kleinen Inselstaat gegründet und registriert, ist eine hundertprozentige Tochter des kanadischen Konzerns „The Metals Company“ (TMC) des australischen Milliardärs Gerard Barron. Entwicklungsländer, so Kai Kaschinski vom entwicklungs- und meerespolitischen Projekt Fair Oceans in Bremen, würden so schlicht zu Türöffnern für multinationale Unternehmen für den Zugang zur Tiefsee: „Diese Länder werden zu den Verlierern des Tiefseebergbaus gehören, während Bergbaukonzerne und Industriestaaten profitieren.“
Die momentanen Auseinandersetzungen reichen bis tief in die Strukturen der ISA: Sowohl der britische „Guardian“ als auch die „New York Times“ zitierten kürzlich ISA-Ratsmitglieder, wonach der britische ISA-Generalsekretär Michael Lodge „Druck mache“, um den Tiefseebergbau voranzutreiben. Kritik an seiner mangelnden Neutralität, unter anderem auch aus Deutschland, hat Lodge zwar scharf zurückgewiesen, die US-Zeitung hatte zuvor berichtet, die ISA habe TMC durch Weitergabe von Informationen geholfen.
Detailliertere Informationen gibt es in diesem Beitrag
von Kai Kaschinski auf der Webseite von Fair Oceans.