Heute Mittag ist in Bremerhaven der knapp 400 Meter lange und 61,5 Meter breite Containerfrachter „MSC Michel Cappellini“ getauft worden. Der Genfer Schifffahrtskonzern Mediterranean Shipping Co. (MSC) hat dies mit viel Pomp inszeniert, obwohl das neue Schiff laut Reedereifahrplan Bremerhaven in Zukunft gar nicht anlaufen wird. – Der Wettlauf im Oligopol der Container-Schifffahrt geht damit in eine neue Runde.
Die Show mit dreiwöchiger Vorbereitung auf der Kaje und rund 800 geladenen Gästen hatte weder logistisch noch nautisch irgend einen ernstzunehmenden Zweck, es war unverkennbar, dass MSC sich im Wesentlichen selbst feiern wollte. Wenige Stunden nach der Feier ist der Frachter, ohne einen einzigen Container gelöscht oder geladen zu haben, mit Kurs Tanger wieder ausgelaufen.
Der Schweizer Konzern, nach wie vor in Familienbesitz, ist nämlich nicht nur Weltmarktführer der Containerschifffahrt, seit er vor gut anderthalb Jahren den jahrzehntelangen Branchenprimus, den dänischen Mærsk-Konzern, von der Spitze verdrängt hatte. Er hat auch in den vergangenen Jahren seinen Kapazitätsvorsprung ebenso massiv wie kontinuierlich ausgebaut: Noch zu Jahresanfang managte MSC laut Infodienst „Alphaliner“ 721 Schiffe mit 4,63 Millionen TEU Kapazität – und hatte weitere 133 Schiffe (1,83 Millionen TEU) in seinen Orderbüchern stehen (TEU steht für „twenty-foot equivalent unit“, für 20-Fuß-Standardcontainer). Aktuell sind es schon 770 Schiffe mit 5,16 Millionen TEU: MSC hat damit als erstes Unternehmen die Kapazitätsmarke von fünf Millionen TEU „gerissen“ (Mærsk als Zweitplatzierter liegt mehr als eine Million TEU dahinter). Und in den Orderbüchern der Genfer stehen momentan 118 Schiffe für weitere 1,49 Millionen TEU.
Damit aber nicht genug der Rekorde: Noch vor wenigen Tagen feierte Hamburg den Besuch des Anfang Juni von der Werft abgelieferten Containerriesen „ONE Innovation“ des japanischen Reedereibündnisses „Ocean Network Express“ (registriert in Singapur) als weltgrößten Megamax-Frachter mit 24.136 TEU Kapazität, da schickt Genf seinen genannten Neubau „MSC Michel Cappellini“ – einen von sechs baugleichen – für 24.346 TEU ins Größenwettrennen. Für Laien mutet es an wie ein dummes Spiel kleiner Jungs – ätsch, meiner ist größer! –, tatsächlich geht es in diesem Wettlauf um Marktmacht, um weitere Konzentrationsprozesse, letztlich um gnadenlose Verdrängung unter den Wettbewerbern.
Machtkampf verschärft sich
Dazu sind zwei Erläuterungen sinnvoll: Erstens findet dieser Kampf aktuell statt vor dem Hintergrund drastisch sinkender Frachtraten – Ende Mai meldete Branchendienst HANSA gerade, die Vertragsfrachtraten für den Transport von Containern seien in jenem Monat um 27,5 Prozent gesunken; es sei „der neunte Monat in Folge, in dem die Frachtraten gesunken sind, und der größte monatliche Rückgang“, der je bilanziert worden sei. Zweitens sprach derselbe Dienst erst vor wenigen Tagen von einem „globalen Abschwung im Containerumschlag“, den das Bremer Institut für Seeverkehrswirtschaft und Logistik (ISL) als Folge sowohl der Corona-Pandemie als auch des Ukraine-Kriegs bewerte: Beide Ereignisse hätten bewirkt, dass die Industrien begonnen hätten, ihre globalen Lieferketten zu überdenken. Das ISL gehe davon aus, dass dieser Abschwung sich in diesem Jahr fortsetze und beschleunige.
Das bestärkt aber nur den Machtkampf der Großen, wie folgende Zahlen illustrieren: Die globale Containerflotte wuchs seit Ende Januar, in nicht einmal sechs Monaten, um 132 Schiffe mit 929.000 TEU Kapazität. Allein 77 Schiffe davon und rund 771.000 TEU entfallen auf die neun größten Konzerne, die in den drei Allianzen organisiert sind. Die Orderbücher allein dieser Neun sind in der fraglichen Zeit von 399 (5,16 Millionen TEU) auf 481 Schiffe (6,04 Millionen TEU) angewachsen. Aber Verdrängung durch Größe ist Trumpf: Die Durchschnittskapazität der Weltcontainerflotte liegt aktuell bei 4113 Standardcontainern pro Schiff; die aktuelle Flotte der großen Neun kommt auf 6605 TEU, die Schiffe in ihren Orderbüchern indes auf 12.558 TEU.