Deutschland braucht mehr eigene Seeleute!“

Von Peter Geitmann

Erstaun­lich!“ – Der lang­jäh­ri­ge Schiff­fahrts­se­kre­tär der Gewerk­schaft ver.di, Peter Geit­mann, reagiert ver­blüfft: „Der Ver­band Deut­scher Ree­der (VDR) gelangt zu der Erkennt­nis, dass auch deut­sche See­leu­te gebraucht wer­den!“ Anläss­lich der mor­gen begin­nen­den 13. Natio­na­len Mari­ti­men Kon­fe­renz (NMK) in Bre­men hat Geit­mann dazu für WATERKANT die­sen Bei­trag geschrieben: 

Spä­tes­tens wäh­rend der Corona-Pandemie soll­te es all­ge­mein begrif­fen wor­den sein: Ohne See­leu­te funk­tio­niert die glo­ba­le Lie­fer­ket­te nicht. Nun hat end­lich selbst der VDR erkannt, dass Deutsch­land drin­gend auch deut­sches see­män­ni­sches Know­how benö­tigt, um sich als Schiff­fahrts­stand­ort glo­bal behaup­ten zu kön­nen. Ver­bands­che­fin Gaby Born­heim und „ihr“ Haupt­ge­schäfts­füh­rer Mar­tin Krö­ger hat­ten beim tra­di­tio­nel­len Ree­der­es­sen des VDR im Dezem­ber ver­gan­ge­nen Jah­res in Ham­burg eben­so wie kurz zuvor beim Mari­ti­me Round Table von ver.di das Jahr 2023 zum „Jahr der Aus­bil­dung erklärt“. Und das topp­ten sie auch noch mit der Bot­schaft, der Beruf des See­manns müs­se wie­der attrak­ti­ver werden.

Im Wer­ben um Fach­kräf­te und den drin­gend benö­tig­ten Nach­wuchs sind das abso­lut rich­ti­ge Wor­te. Aber man darf und muss auch die Fra­ge stel­len, ob der VDR nicht viel­leicht die Zeit ver­schla­fen und die per­so­nel­le Ent­wick­lung in der See­schiff­fahrt falsch ein­ge­schätzt hat. Die deut­schen Ree­de­rei­en gehö­ren mit zur Spit­ze der glo­bal play­er in der See­schiff­fahrt, nur spie­gelt sich das nicht in der Anzahl hei­mi­scher See­leu­te wider. Die land­sei­ti­gen Berei­che der mari­ti­men Bran­che – Logis­tik, Häfen, Ver­wal­tung und vie­le ande­re – suchen hän­de­rin­gend nach Fach­kräf­ten mit Seefahrt-Erfahrungszeiten, die aber gibt es immer weniger.

Die Anzahl deut­scher See­leu­te sinkt seit Jah­ren, ja, sie befin­det sich auf einem his­to­ri­schen Tief­punkt. Laut Sta­tis­tik der Knappschaft-Bahn-See gab es per 31. März 2023 nur noch 4.744 See­leu­te; das waren zwar etwas mehr als die 4.540 im Dezem­ber 2022 gelis­te­ten See­leu­te, aber das gilt den Sta­tis­ti­kern als „sai­son­be­dingt“. Grund­sätz­lich jedoch zeigt die Ent­wick­lung den drin­gend not­wen­di­gen Bedarf zum Umsteu­ern: Inner­halb von nur zehn Jah­ren hat die Zahl deut­scher See­leu­te um rund ein Drit­tel abge­nom­men, Ende Juni 2013 waren es noch gut 7400! Übri­gens hat sich im sel­ben Zeit­raum die Anzahl aus­län­di­scher See­leu­te auf Schif­fen unter deut­scher Flag­ge nahe­zu hal­biert – von 5.129 auf nur noch 2.741!

Die Gewerk­schaft ver.di hat­te in ver­schie­de­nen Sit­zun­gen des Mari­ti­men Bünd­nis­ses, des Bund-Küstenländer-Arbeitskreises und in den Mit­glie­der­ver­samm­lun­gen der Berufs­bil­dungs­stel­le See­schiff­fahrt e.V. (BBS) immer wie­der auf die Not­wen­dig­keit hin­ge­wie­sen, die­sen Nie­der­gang zu stop­pen. Die Ände­rung der Schiffs­be­set­zungs­ver­ord­nung (Schbes­VO) im Jah­re 2016 hat­te bekannt­lich die Nationalitäts-Vorgaben hal­biert, es müs­sen statt bis­lang vier nur noch zwei deutsche/europäische See­leu­te an Bord fah­ren: Das war, wie damals schon von ver.di und diver­sen Exper­ten vor­her­ge­sagt, ein Kar­di­nals­feh­ler und hat mit dazu bei­getra­gen, die­sen Nie­der­gang zu beför­dern – ein Groß­teil der Ree­de­rei­en hat sich schnell an die­sen Vor­ga­ben ori­en­tiert. Jetzt umzu­steu­ern, wird sehr auf­wen­dig sein und Kraft kosten.

In den Ree­de­rei­en sind inzwi­schen die für die Aus­bil­dung vor­ge­schrie­be­nen zwei deutsch­spra­chi­gen See­leu­te häu­fig nicht mehr vor­han­den. Mit der Ände­rung der Schbes­VO wur­de zudem der ein­zi­ge Mann­schafts­dienst­grad – der Schiffs­me­cha­ni­ker mit einer guten Aus­bil­dung im Gesamt­schiffs­be­trieb – sozu­sa­gen weg­ra­tio­na­li­siert, die Posi­ti­on ist nicht mehr vor­ge­schrie­ben. Und auch das haben die meis­ten Ree­de­rei­en in ihrer Schiffs­be­set­zung ziem­lich zügig umge­setzt. Die Fol­ge: In vie­len Schiff­fahrts­be­rei­chen, wo Schiffs­me­cha­ni­ker drin­gend gebraucht wer­den, bei­spiels­wei­se im Hafen­be­reich auf den Schlep­pern, auf See auf Not­fall­schlep­pern, Lots­ver­set­zern, Forschungs- und Behör­den­schif­fen feh­len die­se Fach­kräf­te nun, es müs­sen ver­mehrt euro­päi­sche Matro­sen oder Maschi­nen­war­te ange­mus­tert wer­den. Die beherr­schen ihren Job zwar auch, aber Deutsch­land ver­liert immer mehr das eige­ne mari­ti­me Knowhow.

Klar, es gibt noch die Aus­bil­dung zum Schiffs­me­cha­ni­ker, die eine sehr gute Basis für ein anschlie­ßen­des Stu­di­um ist – zum Schiffsbetriebstechniker/Ingenieur, dem spä­te­ren Lei­ter der Maschi­nen­an­la­ge oder zum Nau­ti­ker bis hin zum Kapi­tän. Aber wenn, sie­he oben, an Bord jene Fach­kräf­te feh­len, die laut Aus­bil­dungs­ver­ord­nung für die Betreu­ung zustän­dig und erfor­der­lich sind, nützt das wenig. Es müs­sen drin­gend jun­ge und gut aus­ge­bil­de­te Fach­leu­te her, die (nicht nur) hier­zu­lan­de die glo­ba­le Lie­fer­ket­te auf­recht­erhal­ten. Ver­liert Deutsch­land sein mari­ti­mes Know­how, wird das mit erheb­li­chen nega­ti­ven Aus­wir­kun­gen für die see­män­ni­schen Aus­bil­dungs­stät­ten und die Schiff­fahrts­schu­len (Fach­schu­len und Fach­hoch­schu­len) ver­bun­den sein, was sich in Fol­ge auch auf die Berei­che des mari­ti­men Clus­ters an Land aus­wir­ken wird. Da gegen­zu­steu­ern, so ver.di, ist längst über­fäl­lig – es sei denn, die deut­schen Ree­de­rei­en setz­ten nur noch auf aus­län­di­sche See­leu­te. Dann soll­te der VDR das aber auch so erklä­ren und min­des­tens sei­nen Namen ändern: Dann reicht auch VR.

Taten müs­sen folgen

Die Initia­ti­ve des Ree­der­ver­bands für mehr Aus­bil­dung und eine höhe­re Attrak­ti­vi­tät des See­leu­te­be­ru­fes kann ver.di sehr gut unter­stüt­zen. Es müs­sen nun aber drin­gend Taten und Akti­vi­tä­ten zur Umset­zung die­ser Vor­ga­ben erfol­gen. Die Benen­nung eines VDR-Referenten für Aus­bil­dung ist schon mal ein Signal, an das Erwar­tun­gen geknüpft wer­den kön­nen: Hol­ger Jäde, ehe­ma­li­ger Geschäfts­füh­rer der BBS, ist erfah­ren und kann bestimmt mit guten Argu­men­ten ver­su­chen, etwas zu bewe­gen. Der Erfolg kann und wird aber vor allem davon abhän­gen, wie sich die Ree­de­rei­en in die­sen Pro­zess ein­brin­gen. Schiffs­me­cha­ni­ker im inter­na­tio­na­len Bereich fährt kaum noch eine Ree­de­rei. Und bis­her haben nur weni­ge die­ser Unter­neh­men Nach­wuchs­of­fi­zie­ren Chan­cen gege­ben, ihr Patent aus­zu­fah­ren. Per­spek­ti­ven, die eine Zukunft in die­sem Bereich zu gewähr­leis­ten ver­spre­chen, gibt es wenig.

See­fahrt ist in Not!“, könn­te man – sehr frei nach Gorch Fock – aus­ru­fen: Ohne erfah­re­ne, eige­ne See­leu­te funk­tio­niert die glo­ba­le Lie­fer­ket­te nicht, wird die Umstruk­tu­rie­rung der See­schiff­fahrt hin zu Klima- und Umwelt­scho­nung nicht gelin­gen kön­nen, ist ange­sichts der welt­wei­ten Aus­ein­an­der­set­zun­gen die Ver­sor­gungs­si­cher­heit aus stra­te­gi­scher Sicht schwer­lich zu garantieren.

Deutsch­land braucht drin­gend mehr eige­ne Seeleute!

Peter Geit­mann
Kon­takt: p.geitmann[at]web.de

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