Offshorewind: Ökobilanz fehlt bis heute

Ende Mai hat in Nor­den­ham der loka­le Indus­trie­kon­zern Steel­wind, ein auf Wind­kraft­tech­nik spe­zia­li­sier­ter Stahl­bau­er, ein­ge­la­den zu einer von der­zeit vie­len Kon­fe­ren­zen über Offshore-Windkraft. Gäs­te waren Ange­hö­ri­ge der Lan­des­re­gie­rung, der IG Metall Küs­te, des Ver­bands Schiff­bau und Mee­res­tech­nik (VSM) sowie einer Lob­by­or­ga­ni­sa­ti­on. Am Ende ver­kün­de­ten sie alle in ihrer Nor­den­ha­mer Erklä­rung (1) voll­mun­dig: „Der Offshore-Windenergie gehört die Zukunft – sie bie­tet zahl­rei­che Chan­cen, die es zu nut­zen gilt“. Wirklich? 

Die einen fei­ern den Bau und Betrieb von Offshore-Windenergieanlagen (OWEA) als Bei­trag zur „siche­ren Gewähr­leis­tung einer unab­hän­gi­gen, rege­ne­ra­ti­ven Ener­gie­ver­sor­gung“, ande­re war­nen vor erheb­li­chen öko­lo­gi­schen Risi­ken und äußern auch mal Zwei­fel an der Wirt­schaft­lich­keit die­ser Art von Ener­gie­er­zeu­gung. Zum Pro­blem wird die Sache, weil aktu­ell – Stich­wor­te „Ener­gie­kri­se“ und Scholz‘sche „Zei­ten­wen­de“ – der Aus­bau des OWEA-Potenzials auf Nord- und Ost­see (2) mas­siv geför­dert und für das Ziel einer „pro­spe­rie­ren­den Offshore-Windenergieindustrie in Deutsch­land“ Nor­men ange­passt, Beden­ken klein­ge­re­det und Infra­struk­tur auf Steu­er­zah­ler­kos­ten aus­ge­baut wer­den: Wind­kraft­nut­zung ist vor allem ein lukra­ti­ves Geschäft.

Warum erst jetzt?
In unserer einstigen Zeitschrift ebenso wie auf dieser Webseite haben wir wiederholt über den OWEA-Hype berichtet. Das hat zu Echos in mehreren externen Medien geführt, so hat etwa die Tageszeitung junge Welt mehrere Beiträge gedruckt.
Aktuell hat die Sozialistische Zeitung (SoZ) um einen zusammenfassenden Beitrag gebeten, der ist – mit Stand von Mitte Juni – in der Soz Nr. 07/2023 sowie unter sozonline.de erschienen. Laut Verabredung mit der SoZ veröffentlichen wir die entsprechende Fassung in sehr ähnlicher Form ebenfalls auf dieser Webseite, allerdings mit einer kleinen zeitlichen Verzögerung: Deshalb erscheint dieser Beitrag erst heute.
Wir bitten alle, die uns mehr oder oder weniger regelmäßig lesen, um Verständnis, dass Wiederholungen und Überschneidungen mit unseren eigenen, früheren Beiträgen unvermeidlich sind. – Übrigens plant auch die Online-Zeitung Schattenblick eine Übernahme des SoZ-Beitrags, sobald das geschehen ist, wird hier entsprechend verlinkt.
Burkhard Ilschner

Nach Indus­trie­an­ga­ben (3) haben 2022, Stand Jah­res­en­de, in deut­schen See­ge­wäs­sern 1.539 OWEA mit einer Leis­tung von ins­ge­samt 8,136 Giga­watt (GW) rund 24,7 Tera­watt­stun­den (TWh) Strom erzeugt. Davon ent­fal­len auf die Nord­see rund 7,0 GW, der ver­blei­ben­de Teil auf die Ost­see. Der über­wie­gen­de Anteil – rund 7,8 GW – steht in den Aus­schließ­li­chen Wirt­schafts­zo­nen (AWZ) jen­seits der 12-Seemeilen-Grenze (4), inner­halb sind es nur 0,3 GW. Bemes­sen nach Lage der land­sei­ti­gen Netz­an­schlüs­se ent­fal­len in der Nord­see rund 4,9 GW auf Nie­der­sach­sen und 2,1 GW auf Schleswig-Holstein, die Ostsee-Leistung ent­fällt voll­stän­dig auf Mecklenburg-Vorpommern.

Am 1. Janu­ar 2023 trat das neue Windenergie-auf-See-Gesetz des Bun­des in Kraft, wonach bis 2030 min­des­tens 30 GW, bis 2035 min­des­tens 40 GW und bis 2045 min­des­tens 70 GW instal­lier­ter Leis­tung erreicht sein sol­len. Um die­sen mas­si­ven Aus­bau durch­set­zen zu kön­nen, sieht das Gesetz Schrit­te zur Pla­nungs­be­schleu­ni­gung – also Ein­schrän­kun­gen von Bür­ger­rech­ten – vor, zum Bei­spiel „zügi­ge­re Plan­ge­neh­mi­gungs­ver­fah­ren“, „Vor­ga­ben“ zur Ver­fah­rens­dau­er oder „stär­ke­re Bün­de­lung“ von Umwelt­prü­fun­gen und Beteiligungsrechten.

Wenn gut acht Giga­watt OWEA-Leistung von rund 1500 Anla­gen erzeugt wer­den, dann bedeu­tet die Ziel­set­zung „70 GW bis 2045“ – selbst unter Berück­sich­ti­gung tech­ni­scher Wei­ter­ent­wick­lung –, dass in den kom­men­den 20 Jah­ren mehr als 10.000 Anla­gen zusätz­lich errich­tet und/oder aus­ge­tauscht wer­den müs­sen. Um das begrei­fen zu kön­nen, muss man sich den erfor­der­li­chen Auf­wand vor Augen füh­ren. Die Kos­ten­fra­ge – ein wesent­li­cher Aspekt – sei hier nur knapp erwähnt: Das Gefü­ge aus Aus­schrei­bung, Zutei­lung, Finan­zie­rung mit­tels EEG Ein­spei­se­ver­gü­tung und KfW-Förderung sowie Netz­ent­gel­ten dar­zu­stel­len, wür­de den Rah­men die­ses Bei­trags spren­gen. Hier und jetzt mag es genü­gen fest­zu­stel­len: OWEA sind ein typisch kapi­ta­lis­ti­sches Vor­ha­ben – erheb­li­che öffent­li­che Mit­tel bewir­ken erheb­li­che pri­va­te Profite.

Wich­tig ist fer­ner der Blick auf Tech­nik und Logis­tik: Jede OWEA benö­tigt ein sta­bi­les Fun­da­ment, bis­lang wer­den die­se Grün­dungs­struk­tu­ren oft per Ramm­ung erstellt, das erfor­dert zusätz­li­che Maß­nah­men wegen Lärm­schut­zes, bei­spiels­wei­se ener­gie­in­ten­si­ve und tech­nisch auf­wän­di­ge Blasenschleier-Installationen. Errich­tet wer­den die immer gigan­ti­sche­ren Anla­gen in der Regel aus land­sei­tig vor­mon­tier­ten Tei­len, die dann auf See trans­por­tiert und dort mon­tiert wer­den. Anschlie­ßend müs­sen die ein­zel­nen OWEA eines Wind­parks ver­ka­belt wer­den mit einer loka­len Offshore-Umspannstation, die ihrer­seits an den Netz­zu­gang an Land anzu­schlie­ßen ist.

Das klingt in die­ser Kür­ze weit­aus ein­fa­cher als es in der Pra­xis zu bewerk­stel­li­gen ist, denn Gründungs-, Installations- und spä­te­re Wartungs-Technik der OWEA sowie land­sei­ti­ge Pro­duk­ti­on samt Vor­mon­ta­ge und Trans­port zum Stand­ort set­zen spe­zi­fi­sche Ent­wick­lung von Gerä­ten, Hafen­an­la­gen, Schif­fen oder Krä­nen vor­aus. Zwar ver­wei­sen Gewerk­schaf­ten immer wie­der auf die Arbeitsplatz-Frage – aber das ist eben nur ein Teil­aspekt: Vie­le der benö­tig­ten Akti­vi­tä­ten wer­den (s. o.) staat­lich geför­dert, Infra­struk­tur und ande­re Vor­leis­tun­gen über­wie­gend aus Steu­er­gel­dern bezahlt.

Auch Euro­pa macht mobil

Kur­zer „inter­na­tio­na­ler“ Exkurs (2): Anfang Mai haben die Regie­rungs­chefs von neun Staa­ten der Nord­at­lan­tik­re­gi­on mit EU-Kommissionschefin Ursu­la von der Ley­en beim North Sea Sum­mit im bel­gi­schen Ost­ende eine Erklä­rung beschlos­sen, die das Meer vor unse­rer Haus­tür kur­zer­hand zum „grü­nen Kraft­werk Euro­pas“ erklärt. Bis 2050 sol­len in den AWZ aller Betei­lig­ten OWEA mit einer Gesamt­leis­tung von 300 GW errich­tet wer­den. Ver­gli­chen mit den Zah­len für deut­sches See­ge­biet (s. o.) läuft das auf eine Strom­pro­duk­ti­on von grob geschätzt 900 TWh hin­aus. Davon, so damals Bel­gi­ens Regie­rungs­chef Alex­an­der De Croo, könn­ten 300 Mil­lio­nen Haus­hal­te mit Ener­gie ver­sorgt wer­den. Laut Euro­stat hat­te die EU Ende 2021 aber nur knapp 197 Mil­lio­nen Haus­hal­te. Was sol­che Kal­ku­la­tio­nen oder Ver­glei­che also mit „Ener­gie­spa­ren“ zu tun haben, bleibt offen. Von „mas­si­ven Inves­ti­tio­nen in Infra­struk­tur sowohl an Land als auch auf See“ spricht die Ostende-Erklärung – man darf raten, wer das bezah­len soll. Auch hier wird die Aus­he­be­lung gel­ten­der Rech­te ange­kün­digt: Man kön­ne „nicht jah­re­lang auf Geneh­mi­gungs­pro­zes­se war­ten“. Und natür­lich braucht Infra­struk­tur auf See und unter Was­ser mehr Sicher­heit, dafür bedarf es einer Koope­ra­ti­on von EU und NATO: Es geht also auch um Mili­ta­ri­sie­rung des Mee­res und sei­ner Küsten.

Ob der hier nur kurz ange­ris­se­ne Auf­wand in toto eigent­lich öko­lo­gisch wie öko­no­misch sinn­voll ist, wur­de – soweit bekannt – nie qua­li­fi­ziert unter­sucht. Bereits 2002 hat­ten Ener­gie­ex­per­ten dies­be­züg­li­che Zwei­fel geäu­ßert (5) und unter ande­rem eine „öko­lo­gi­sche Gesamt­bi­lanz“ für OWEA ange­mahnt; dabei müs­se der „im Lebens­zy­klus eines Rotors zu leis­ten­de Auf­wand für Ent­wick­lung, Her­stel­lung, Auf­bau, Betrieb, War­tung, Demon­ta­ge und Ent­sor­gung aller Ein­zel­tei­le … der erbrach­ten Strom­men­ge gegen­über gestellt wer­den“. Addiert man dem noch öffent­lich finan­zier­te Infrastruktur- und För­der­leis­tun­gen hin­zu, klingt die dama­li­ge Experten-Aussage noch schlüs­si­ger: „Ich bin nicht sicher, ob die­se Rech­nung posi­tiv aus­geht für die Offshore-Windrotoren.”

Ab 2002 ließ die Bun­des­re­gie­rung in deut­schen See­ge­bie­ten mit Millionen-Aufwand eigens drei Forschungs-Plattformen (FINO 1-3) errich­ten. Eigent­lich soll­ten hier in mehr­jäh­ri­gen For­schungs­pro­gram­men Moda­li­tä­ten für den OWEA-Ausbau geprüft wer­den. Tat­säch­lich begann der Auf­bau des ers­ten Offshore-Windparks, „alpha ven­tus“, in unmit­tel­ba­rer Nähe von FINO 1 lan­ge vor Abschluss deren For­schungs­be­richts. Jah­re spä­ter ließ das Bun­des­amt für See­schiff­fahrt und Hydro­gra­phie (BSH) – das skur­ril­erwei­se zugleich Planungs-, Genehmigungs- und Überwachungs-Behörde ist – eine Stu­die zum angeb­lich umwelt­ver­träg­li­chen OWEA-Ausbau erstel­len, die aber bei Mee­res­um­welt­schüt­zern hef­ti­ge Kri­tik ern­te­te (6).

Es wird eng auf dem Meer…

Das BSH übri­gens ist seit lan­gem Ver­an­stal­ter einer Meeresumwelt-Symposium genann­ten Vor­trags­rei­he, auf der Jahr für Jahr Exper­ten neben vie­len ande­ren The­men auch über Risi­ken des OWEA-Ausbaus für Mee­res­säu­ger, Fische, See- und Zug­vö­gel reden und – wis­sen­schaft­lich fun­diert – vor Schad­stoff­ein­trä­gen sowie für Gefähr­dung der mari­nen Bio­di­ver­si­tät oder der wich­ti­gen Funk­ti­on der Mee­re für das Kli­ma war­nen (7). Nur ver­ein­zelt geht das auch ein in die BSH-Genehmigungsverfahren, die Mas­se der Beden­ken ver­sinkt im unver­dros­sen vor­an getrie­be­nen OWEA-Ausbau. Selbst Stu­di­en wirt­schafts­na­her Ein­rich­tun­gen kön­nen allem Anschein nach die Gigawatt-Gier der OWEA-Branche und der sie för­dern­den „Zeitenwende“-Politiker nicht brem­sen: Jüngst stell­te die norwegisch-deutsche Klas­si­fi­ka­ti­ons­ge­sell­schaft Det Nor­ske Veri­tas (DNV) fest (8), dass es auf euro­päi­schen Mee­ren – ins­be­son­de­re „in der Nord­see … und in der Ost­see“ – eng wer­den kön­ne mit kon­kur­rie­ren­den Nut­zungs­an­sprü­chen durch OWEA-Ausbau, Aqua­kul­tur, Schiff­fahrt, Fische­rei oder Tou­ris­mus. Nun ist die DNV bei­lei­be kei­ne Umwelt­schutz­in­sti­tu­ti­on, son­dern hat­te ursprüng­lich die Auf­ga­be, eine Art TÜV für Schif­fe zu sein, und ist mitt­ler­wei­le auch Zer­ti­fi­zie­rer, Bera­ter und Gut­ach­ter in nahe­zu allen mari­ti­men Wirt­schafts­be­rei­chen. So gese­hen, war die Stu­die also eine Art War­nung an die eige­ne Zunft – erkenn­ba­re Fol­gen hat­te das (bis­lang) nicht.

Fehl­ent­wick­lun­gen im Kon­text der Offshore-Entwicklung gibt es vie­le, eine sei hier bei­spiel­haft abschlie­ßend erwähnt: Zu Beginn des OWEA-Booms woll­te Bre­men unbe­dingt einen Offshore-Terminal Bre­mer­ha­ven (OTB) ins EU-rechtlich geschütz­te Weser­watt ram­men – anfangs als pri­vat­wirt­schaft­lich finan­zier­tes und betrie­be­nes Pro­jekt. Aber die Bran­che, die das leis­ten und der das vor allem nut­zen soll­te, wink­te ab: kein Inter­es­se an Bau und Betrieb. Also wur­de das Pro­jekt mit öffent­li­chen Mit­teln vor­an getrie­ben – bis ein Gericht 2022 das umstrit­te­ne Vor­ha­ben end­gül­tig stopp­te. Bis zu die­sem Zeit­punkt waren – nur für Pla­nung etc. – 35 Mil­lio­nen Euro Steu­er­gel­der ver­bra­ten. Und was lernt Bre­men dar­aus? Weni­ge Meter neben dem geplan­ten OTB-Standort soll jetzt – Zei­ten­wen­de! – ein „ener­gy port“ für Wind- und Wasserstoff-Wirtschaft ent­ste­hen (9).

Eine umfas­sen­de Betrach­tung der gesam­ten OWEA-Problematik ist an die­ser Stel­le unmög­lich. Viel­leicht hilft ja die­se knap­pe und nur exem­pla­ri­sche Aus­wahl, eine Debat­te zu befeu­ern, die die Ent­wick­lung wenigs­tens ein biss­chen bremst.

 

Anmer­kun­gen:
1. https://www.mw.niedersachsen.de/download/195680/Nordenhamer_Erklaerung.pdf
2. Die­ser Bei­trag ist aus Platz­grün­den fokus­siert auf deut­sche Gewäs­ser in Nord- und Ostsee.
3. Deut­sche Wind­Guard: Sta­tus des Offshore-Windenergieausbaus in Deutsch­land, Jahr 2022.
4. Laut UN-Seerechtskonvention ste­hen Küs­ten­staa­ten bis zu 200 (in Aus­nah­men 350) See­mei­len als so genann­te AWZ zu, in denen sie exklu­siv wirt­schaf­ten, die Schiff­fahrt bei­spiels­wei­se aber nicht behin­dern dür­fen. Da sich in Nord- und Ost­see die AWZ der Anrai­ner über­lap­pen, hat man hier eine gegen­sei­ti­ge Zonie­rung vereinbart.
5. https://ilschner.info/?p=491
6. https://waterkant.info/?p=2905
7. https://waterkant.info/?p=10329; https://waterkant.info/?p=10570
8. https://waterkant.info/?p=11027
9. https://waterkant.info/?p=11010

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WATERKANT-Redaktion