Ende Mai hat in Nordenham der lokale Industriekonzern Steelwind, ein auf Windkrafttechnik spezialisierter Stahlbauer, eingeladen zu einer von derzeit vielen Konferenzen über Offshore-Windkraft. Gäste waren Angehörige der Landesregierung, der IG Metall Küste, des Verbands Schiffbau und Meerestechnik (VSM) sowie einer Lobbyorganisation. Am Ende verkündeten sie alle in ihrer Nordenhamer Erklärung (1) vollmundig: „Der Offshore-Windenergie gehört die Zukunft – sie bietet zahlreiche Chancen, die es zu nutzen gilt“. Wirklich?
Die einen feiern den Bau und Betrieb von Offshore-Windenergieanlagen (OWEA) als Beitrag zur „sicheren Gewährleistung einer unabhängigen, regenerativen Energieversorgung“, andere warnen vor erheblichen ökologischen Risiken und äußern auch mal Zweifel an der Wirtschaftlichkeit dieser Art von Energieerzeugung. Zum Problem wird die Sache, weil aktuell – Stichworte „Energiekrise“ und Scholz‘sche „Zeitenwende“ – der Ausbau des OWEA-Potenzials auf Nord- und Ostsee (2) massiv gefördert und für das Ziel einer „prosperierenden Offshore-Windenergieindustrie in Deutschland“ Normen angepasst, Bedenken kleingeredet und Infrastruktur auf Steuerzahlerkosten ausgebaut werden: Windkraftnutzung ist vor allem ein lukratives Geschäft.
Warum erst jetzt?
In unserer einstigen Zeitschrift ebenso wie auf dieser Webseite haben wir wiederholt über den OWEA-Hype berichtet. Das hat zu Echos in mehreren externen Medien geführt, so hat etwa die Tageszeitung junge Welt mehrere Beiträge gedruckt.
Aktuell hat die Sozialistische Zeitung (SoZ) um einen zusammenfassenden Beitrag gebeten, der ist – mit Stand von Mitte Juni – in der unter sozonline.de erschienen. Laut Verabredung mit der SoZ veröffentlichen wir die entsprechende Fassung in sehr ähnlicher Form ebenfalls auf dieser Webseite, allerdings mit einer kleinen zeitlichen Verzögerung: Deshalb erscheint dieser Beitrag erst heute.
sowieWir bitten alle, die uns mehr oder oder weniger regelmäßig lesen, um Verständnis, dass Wiederholungen und Überschneidungen mit unseren eigenen, früheren Beiträgen unvermeidlich sind. – Übrigens plant auch die Online-Zeitung Schattenblick eine Übernahme des SoZ-Beitrags, sobald das geschehen ist, wird hier entsprechend verlinkt.
Burkhard Ilschner
Nach Industrieangaben (3) haben 2022, Stand Jahresende, in deutschen Seegewässern 1.539 OWEA mit einer Leistung von insgesamt 8,136 Gigawatt (GW) rund 24,7 Terawattstunden (TWh) Strom erzeugt. Davon entfallen auf die Nordsee rund 7,0 GW, der verbleibende Teil auf die Ostsee. Der überwiegende Anteil – rund 7,8 GW – steht in den Ausschließlichen Wirtschaftszonen (AWZ) jenseits der 12-Seemeilen-Grenze (4), innerhalb sind es nur 0,3 GW. Bemessen nach Lage der landseitigen Netzanschlüsse entfallen in der Nordsee rund 4,9 GW auf Niedersachsen und 2,1 GW auf Schleswig-Holstein, die Ostsee-Leistung entfällt vollständig auf Mecklenburg-Vorpommern.
Am 1. Januar 2023 trat das neue Windenergie-auf-See-Gesetz des Bundes in Kraft, wonach bis 2030 mindestens 30 GW, bis 2035 mindestens 40 GW und bis 2045 mindestens 70 GW installierter Leistung erreicht sein sollen. Um diesen massiven Ausbau durchsetzen zu können, sieht das Gesetz Schritte zur Planungsbeschleunigung – also Einschränkungen von Bürgerrechten – vor, zum Beispiel „zügigere Plangenehmigungsverfahren“, „Vorgaben“ zur Verfahrensdauer oder „stärkere Bündelung“ von Umweltprüfungen und Beteiligungsrechten.
Wenn gut acht Gigawatt OWEA-Leistung von rund 1500 Anlagen erzeugt werden, dann bedeutet die Zielsetzung „70 GW bis 2045“ – selbst unter Berücksichtigung technischer Weiterentwicklung –, dass in den kommenden 20 Jahren mehr als 10.000 Anlagen zusätzlich errichtet und/oder ausgetauscht werden müssen. Um das begreifen zu können, muss man sich den erforderlichen Aufwand vor Augen führen. Die Kostenfrage – ein wesentlicher Aspekt – sei hier nur knapp erwähnt: Das Gefüge aus Ausschreibung, Zuteilung, Finanzierung mittels EEG Einspeisevergütung und KfW-Förderung sowie Netzentgelten darzustellen, würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen. Hier und jetzt mag es genügen festzustellen: OWEA sind ein typisch kapitalistisches Vorhaben – erhebliche öffentliche Mittel bewirken erhebliche private Profite.
Wichtig ist ferner der Blick auf Technik und Logistik: Jede OWEA benötigt ein stabiles Fundament, bislang werden diese Gründungsstrukturen oft per Rammung erstellt, das erfordert zusätzliche Maßnahmen wegen Lärmschutzes, beispielsweise energieintensive und technisch aufwändige Blasenschleier-Installationen. Errichtet werden die immer gigantischeren Anlagen in der Regel aus landseitig vormontierten Teilen, die dann auf See transportiert und dort montiert werden. Anschließend müssen die einzelnen OWEA eines Windparks verkabelt werden mit einer lokalen Offshore-Umspannstation, die ihrerseits an den Netzzugang an Land anzuschließen ist.
Das klingt in dieser Kürze weitaus einfacher als es in der Praxis zu bewerkstelligen ist, denn Gründungs-, Installations- und spätere Wartungs-Technik der OWEA sowie landseitige Produktion samt Vormontage und Transport zum Standort setzen spezifische Entwicklung von Geräten, Hafenanlagen, Schiffen oder Kränen voraus. Zwar verweisen Gewerkschaften immer wieder auf die Arbeitsplatz-Frage – aber das ist eben nur ein Teilaspekt: Viele der benötigten Aktivitäten werden (s. o.) staatlich gefördert, Infrastruktur und andere Vorleistungen überwiegend aus Steuergeldern bezahlt.
Auch Europa macht mobil
Kurzer „internationaler“ Exkurs (2): Anfang Mai haben die Regierungschefs von neun Staaten der Nordatlantikregion mit EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen beim North Sea Summit im belgischen Ostende eine Erklärung beschlossen, die das Meer vor unserer Haustür kurzerhand zum „grünen Kraftwerk Europas“ erklärt. Bis 2050 sollen in den AWZ aller Beteiligten OWEA mit einer Gesamtleistung von 300 GW errichtet werden. Verglichen mit den Zahlen für deutsches Seegebiet (s. o.) läuft das auf eine Stromproduktion von grob geschätzt 900 TWh hinaus. Davon, so damals Belgiens Regierungschef Alexander De Croo, könnten 300 Millionen Haushalte mit Energie versorgt werden. Laut Eurostat hatte die EU Ende 2021 aber nur knapp 197 Millionen Haushalte. Was solche Kalkulationen oder Vergleiche also mit „Energiesparen“ zu tun haben, bleibt offen. Von „massiven Investitionen in Infrastruktur sowohl an Land als auch auf See“ spricht die Ostende-Erklärung – man darf raten, wer das bezahlen soll. Auch hier wird die Aushebelung geltender Rechte angekündigt: Man könne „nicht jahrelang auf Genehmigungsprozesse warten“. Und natürlich braucht Infrastruktur auf See und unter Wasser mehr Sicherheit, dafür bedarf es einer Kooperation von EU und NATO: Es geht also auch um Militarisierung des Meeres und seiner Küsten.
Ob der hier nur kurz angerissene Aufwand in toto eigentlich ökologisch wie ökonomisch sinnvoll ist, wurde – soweit bekannt – nie qualifiziert untersucht. Bereits 2002 hatten Energieexperten diesbezügliche Zweifel geäußert (5) und unter anderem eine „ökologische Gesamtbilanz“ für OWEA angemahnt; dabei müsse der „im Lebenszyklus eines Rotors zu leistende Aufwand für Entwicklung, Herstellung, Aufbau, Betrieb, Wartung, Demontage und Entsorgung aller Einzelteile … der erbrachten Strommenge gegenüber gestellt werden“. Addiert man dem noch öffentlich finanzierte Infrastruktur- und Förderleistungen hinzu, klingt die damalige Experten-Aussage noch schlüssiger: „Ich bin nicht sicher, ob diese Rechnung positiv ausgeht für die Offshore-Windrotoren.”
Ab 2002 ließ die Bundesregierung in deutschen Seegebieten mit Millionen-Aufwand eigens drei Forschungs-Plattformen (FINO 1-3) errichten. Eigentlich sollten hier in mehrjährigen Forschungsprogrammen Modalitäten für den OWEA-Ausbau geprüft werden. Tatsächlich begann der Aufbau des ersten Offshore-Windparks, „alpha ventus“, in unmittelbarer Nähe von FINO 1 lange vor Abschluss deren Forschungsberichts. Jahre später ließ das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) – das skurrilerweise zugleich Planungs-, Genehmigungs- und Überwachungs-Behörde ist – eine Studie zum angeblich umweltverträglichen OWEA-Ausbau erstellen, die aber bei Meeresumweltschützern heftige Kritik erntete (6).
Es wird eng auf dem Meer…
Das BSH übrigens ist seit langem Veranstalter einer Meeresumwelt-Symposium genannten Vortragsreihe, auf der Jahr für Jahr Experten neben vielen anderen Themen auch über Risiken des OWEA-Ausbaus für Meeressäuger, Fische, See- und Zugvögel reden und – wissenschaftlich fundiert – vor Schadstoffeinträgen sowie für Gefährdung der marinen Biodiversität oder der wichtigen Funktion der Meere für das Klima warnen (7). Nur vereinzelt geht das auch ein in die BSH-Genehmigungsverfahren, die Masse der Bedenken versinkt im unverdrossen voran getriebenen OWEA-Ausbau. Selbst Studien wirtschaftsnaher Einrichtungen können allem Anschein nach die Gigawatt-Gier der OWEA-Branche und der sie fördernden „Zeitenwende“-Politiker nicht bremsen: Jüngst stellte die norwegisch-deutsche Klassifikationsgesellschaft Det Norske Veritas (DNV) fest (8), dass es auf europäischen Meeren – insbesondere „in der Nordsee … und in der Ostsee“ – eng werden könne mit konkurrierenden Nutzungsansprüchen durch OWEA-Ausbau, Aquakultur, Schifffahrt, Fischerei oder Tourismus. Nun ist die DNV beileibe keine Umweltschutzinstitution, sondern hatte ursprünglich die Aufgabe, eine Art TÜV für Schiffe zu sein, und ist mittlerweile auch Zertifizierer, Berater und Gutachter in nahezu allen maritimen Wirtschaftsbereichen. So gesehen, war die Studie also eine Art Warnung an die eigene Zunft – erkennbare Folgen hatte das (bislang) nicht.
Fehlentwicklungen im Kontext der Offshore-Entwicklung gibt es viele, eine sei hier beispielhaft abschließend erwähnt: Zu Beginn des OWEA-Booms wollte Bremen unbedingt einen Offshore-Terminal Bremerhaven (OTB) ins EU-rechtlich geschützte Weserwatt rammen – anfangs als privatwirtschaftlich finanziertes und betriebenes Projekt. Aber die Branche, die das leisten und der das vor allem nutzen sollte, winkte ab: kein Interesse an Bau und Betrieb. Also wurde das Projekt mit öffentlichen Mitteln voran getrieben – bis ein Gericht 2022 das umstrittene Vorhaben endgültig stoppte. Bis zu diesem Zeitpunkt waren – nur für Planung etc. – 35 Millionen Euro Steuergelder verbraten. Und was lernt Bremen daraus? Wenige Meter neben dem geplanten OTB-Standort soll jetzt – Zeitenwende! – ein „energy port“ für Wind- und Wasserstoff-Wirtschaft entstehen (9).
Eine umfassende Betrachtung der gesamten OWEA-Problematik ist an dieser Stelle unmöglich. Vielleicht hilft ja diese knappe und nur exemplarische Auswahl, eine Debatte zu befeuern, die die Entwicklung wenigstens ein bisschen bremst.
Anmerkungen:
1. https://www.mw.niedersachsen.de/download/195680/Nordenhamer_Erklaerung.pdf
2. Dieser Beitrag ist aus Platzgründen fokussiert auf deutsche Gewässer in Nord- und Ostsee.
3. Deutsche WindGuard: Status des Offshore-Windenergieausbaus in Deutschland, Jahr 2022.
4. Laut UN-Seerechtskonvention stehen Küstenstaaten bis zu 200 (in Ausnahmen 350) Seemeilen als so genannte AWZ zu, in denen sie exklusiv wirtschaften, die Schifffahrt beispielsweise aber nicht behindern dürfen. Da sich in Nord- und Ostsee die AWZ der Anrainer überlappen, hat man hier eine gegenseitige Zonierung vereinbart.
5. https://ilschner.info/?p=491
6. https://waterkant.info/?p=2905
7. https://waterkant.info/?p=10329; https://waterkant.info/?p=10570
8. https://waterkant.info/?p=11027
9. https://waterkant.info/?p=11010