Hafenflächen so groß wie 270 Fußballfelder müssten her, um bis zu 7000 neue Offshore-Windenergieanlagen „mit der Leistung von 62 mittleren Atomkraftwerken“ bauen zu können, mit Anlagen „so hoch wie der Eiffelturm“ und mehr als 100 Meter langen „Hightech-Rotorblättern“ – so und so ähnlich schwelgt und schwärmt eine aktuelle Lobby-Studie, die Druck machen soll für die weitere Industrialisierung der Meere.
Es ist erst wenige Wochen her, dass Angela Titzrath, Vorstandschefin des (noch) staatseigenen Hamburger Terminalkonzerns HHLA, in ihrer Funktion als Präsidentin des Zentralverbands Deutscher Seehäfen (ZDS) die Bundesregierung zu stärkerem Engagement für die Häfen aufforderte: Anlässlich der jüngsten Nationalen Maritimen Konferenz wurden – wieder einmal – mehr Steuergelder für mehr Ausbau gefordert. Aktuell bestätigte vorgestern das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) den Trend sinkender Umschlagsmengen angesichts konjunkturell schwieriger Lage.
Immer häufiger ist in diesem Zusammenhang neben dem originären Geschäft des Umschlags im Seehandel auch von den Erfordernissen der geplanten „Energiewende“ die Rede – mehr Kapazität für Offshore-Windkraft und kommende Wasserstoffwirtschaft. Die „maritime Energiewende (stelle) die größte wirtschaftliche Chance für unsere Werften, Häfen und Logistiklandschaft seit Jahrzehnten dar“, postulierte Anfang dieser Woche das Bundeswirtschaftsministerium anlässlich der diesjährigen Statustagung Maritime Technologien, sprach von einem „Milliardenmarkt“ und sicherte „größtmögliche Unterstützung“ zu.
Skurrile Vergleiche
Dazu passt gut, dass jetzt die Lobby-Organisation Stiftung Offshore-Windenergie eine selbst in Auftrag gegebene Studie vorstellte, derzufolge in den deutschen Seehäfen bis zu 200 Hektar zusätzlicher schwerlastfähiger Lager- und Umschlagflächen mit seeseitiger Anbindung erforderlich seien, um die Ziele dieser geplanten „Energiewende“ erreichen zu können. Wie eingangs beschrieben, geraten die Autoren der Studie dabei schnell ins Schwärmen – mit teilweise skurrilen Vergleichen von Fußball über AKW bis Eiffelturm. Die benötigten Flächen seien „von vielen Akteuren bereits als harte Währung der Zukunft erkannt“ worden, begeistern sie sich und vergessen dabei auch nicht zu erwähnen, dass die Tausende neuer Offshore-Windenergieanlagen konsequenterweise mittels „20.000 Tonnen schwerer“ Konverterstationen und kilometerlanger Kabeltrassen vernetzt werden müssten.
Ob Zufall oder nicht: Zeitgleich mit Vorstellung dieser Studie meldeten der Chemieriese BASF und der staatliche schwedische Energiekonzern Vattenfall, sie hätten sich auf ein (ebenso milliardenschweres) Gemeinschaftsprojekt verständigt: 85 Kilometer nördlich der ostfriesischen Insel Borkum sollen zwei weitere, riesige Windparks mit einer Leistung von zusammen 1,61 Gigawatt entstehen, die pro Jahr rund sechs Terawattstunden Strom liefern sollen. Etwa die Hälfte davon will BASF selbst in Ludwigshafen verbrauchen, um unter anderem „fossilfreien“ Wasserstoff zu erzeugen. Vattenfall plant die beiden Windparks schon länger, BASF will nun 49 Prozent der Anteile übernehmen – angekündigt ist eine Inbetriebnahme 2027/28. Der Chemieriese ist bereits an einem weiteren Offshoreprojekt beteiligt, dem kürzlich eingeweihten Windpark Hollandse Kust Zuid in den Niederlanden, mit 1,5 Gigawatt Leistung der derzeit (noch) größte Offshore-Windpark der Welt.
Das Milliarden-Loch
Die Lobby-Studie, das Vattenfall-BASF-Projekt, die Statustagung – alles fügt sich ein in die von Deutschland und seinen nordwesteuropäischen Nachbarn vorangetriebenen Pläne zur massiven weiteren Industrialisierung der Nordsee. Bekannt ist, dass die Offshore-Windkraft-Branche in der jüngeren Vergangenheit erhebliche Probleme hatte. Sicher soll die Studie dazu beitragen, dem abzuhelfen – ob das in der aktuellen Lage chancenreich ist, bleibt abzuwarten. Zwar gibt es etliche lokale und übergreifende Pläne, die Kajen in Emden, Wilhelmshaven, Bremerhaven oder Brunsbüttel um „schwerlastfähige“ Hafenflächen zu erweitern. Deutschlands bisher einziger Offshorehafen Cuxhaven wird bereits um 1250 Meter ausgebaut, ob die anderen Standorte „ertüchtigt“ werden können, wird nicht zuletzt abhängen von den Ergebnissen der aktuellen Berliner Fahndung nach 60 Milliarden fehlender Euros. Denn ohne die ausstehende „Nationale Hafenstrategie“ – sie sollte eigentlich noch dieses Jahr vorgelegt werden und wird mit Sicherheit mit weiteren Steuermilliarden gepflastert werden müssen – dürften all diese Pläne vorerst in ihren Schubladen bleiben.
Das wäre allerdings schlecht für die x-tausend Eiffelturm-Anlagen auf ohnehin gestressten Meeren, zumal – und das gilt nicht nur für das BASF-Vattenfall-Projekt – auch die Landtrassen für den Stromtransport ins Binnenland (inklusive Ludwigshafen) noch längst nicht vorhanden sind.