Die knapp 500 Lotsversetzer in deutschen Seehäfen sind sauer: Die Gewerkschaft ver.di wirft dem Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) in einem aktuellen Flugblatt eine „Beleidigung der Beschäftigten“ vor – das Ministerium des FDP-Politikers Volker Wissing verweigere den Seeleuten die Zahlung einer ihnen zustehenden Prämie in Höhe von rund 2000 Euro.
Lotsversetzer „arbeiten hart, um den Schiffsverkehr in Deutschland sicherzustellen“, erklärt das Flugblatt. Bekanntlich kann ohne die Hilfe versierter Lotsen kein Handelsschiff einen Hafen sicher anlaufen oder verlassen. Aber es braucht Leute, die diese Lotsen an und von Bord jener Schiffe bringen beziehungsweise holen, und das nicht nur rund um die Uhr – im so genannten 24/7-Modus –, sondern auch bei nahezu jedem Wind oder Wetter; ein harter Job, ebenso riskant wie verantwortungsvoll. Mit anderen Worten: Die Arbeit dieser Lotsversetzer ist nichts weniger als – seit Corona ein vielzitierter Begriff – systemrelevant und gehört entsprechend anerkannt.
In vielen Branchen haben Menschen jüngst aufgrund der Inflation spürbare Einkommensverluste hinnehmen müssen. Als Ausgleich dafür hatte die Bundesregierung seit Oktober 2022 die so genannte Inflationsausgleichprämie eingeführt – Arbeitgeber dürfen ihren Beschäftigten bis zu 3000 Euro steuer- und abgabenfrei zahlen, sofern dies zusätzlich zum fälligen Arbeitslohn gewährt wird. Das hat zwar seither in Tarifrunden einiger Branchen zu teils empörenden, teils skurrilen Tricksereien von Arbeitgeberseite geführt; meist jedoch hat es im Ergebnis viele wenigstens ein bisschen entlastet. Bei den Lotsversetzern indes ist es nicht die Firma, die zu tricksen versucht, sondern nach ver.di-Angaben eben das BMDV: Laut ver.di-Angaben verweigert dieselbe Bundesregierung, die die Prämie eingeführt habe, im Falle der Lotsversetzer „unter Verweis auf die schwierige Haushaltslage des Bundes“ die erforderliche Zustimmung, dass diese Prämie ausgezahlt wird.
Verantwortung delegiert
Das klingt für Laien etwas schwer verständlich und bedarf einer Erläuterung: An sich ist das Lotsenwesen, das die Sicherheit aller mit deutschen Häfen verkehrenden Schiffe garantiert, eine staatliche Aufgabe, eigentlich des BMDV. Das Ministerium indes hat über seine Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt (GDWS) diese verantwortungsvolle Tätigkeit an freiberuflich selbstständige Lotsen delegiert, die über lokale „Lotsenbrüderschaften“ in der Bundeslotsenkammer (BLK) öffentlich-rechtlich organisiert sind. Die Tätigkeit der Lotsen auf den jeweils ein- und ausgehenden Handelsschiffen einschließlich der BLK-Verwaltung finanziert sich selbst aus den Lotsgebühren, die Reedereien oder Schiffseigner zu bezahlen haben. Das Geld wird von der GDWS bei der Schifffahrt eingezogen und über BLK und Brüderschaften an die Lotsen verteilt. Zur Organisation der beschriebenen Lotsenversetzung zu und von den Schiffen hat die BLK den so genannten Lotsbetriebsverein (LBV) gegründet, der mit derzeit mehr als 460 Beschäftigten und knapp 40 Schiffen – alle übrigens unter deutscher Flagge – den Lotsversetzdienst gewährleistet. Neben Hamburg als Sitz der BLK ist der LBV auch in Emden, Bremerhaven, Cuxhaven und Kiel vertreten.
Im April dieses Jahres haben die Lotsversetzer 1000 Euro Inflationsausgleichsprämie bekommen – „unter dem Versprechen, dass die noch offenen 2000 Euro noch in diesem Jahr fließen sollten, wenn es der Haushalt des LBV zulässt“, heißt es im Flugblatt: „Und das Geld ist da!“ Mit anderen Worten: Die LBV-Geschäftsführung ist zwar bereit, mit ver.di einen Tarifvertrag über die restliche Prämie abzuschließen, benötigt dafür aber wegen der komplizierten Struktur des Lotsenwesens eine Freigabe der Mittel durch das Ministerium. Zwar wird im Hintergrund offenbar noch über diese Freigabe verhandelt – aber in mehreren Häfen haben die örtlichen LBV-Betriebsräte für kommenden Mittwoch zu Betriebsversammlungen aufgerufen, um über den Stand der Dinge zu informieren. Parallel dazu machen Beschäftigte mit Plakaten und Bannern ihrer Empörung über das BMDV Luft: „Zeigen wir den Herrschaften gemeinsam, was wir von ihrem Wortbruch halten.“