Brake-Studie: Leichtfertiges Zahlenspiel

Nie­der­sach­sens Wirt­schafts­mi­nis­ter Olaf Lies (SPD) will anschei­nend nicht nur die Unter­we­ser gegen den Wider­stand vie­ler Anrai­ner wei­ter ver­tie­fen, son­dern auch den See­ha­fen Bra­ke kräf­tig aus­bau­en. Sowohl die seit lan­gem umstrit­te­ne Bag­ger­or­gie als auch der Hafen­aus­bau wer­den indes mit zwei­fel­haf­ten Argu­men­ten und leicht­fer­ti­gem Zah­len­spiel vorangetrieben. 

Ende Novem­ber hat sich Lies in einer medi­en­wirk­sam insze­nier­ten Zere­mo­nie von der lan­des­ei­ge­nen Hafen­ver­wal­tungs­ge­sell­schaft N-Ports ein „Per­spek­tiv­pa­pier“ für den Bra­ker Hafen über­rei­chen las­sen, das N-Ports selbst in Auf­trag gege­ben hat­te. Kein Wun­der also, dass die­se Stu­die prompt die gewünsch­te Aus­sa­ge trans­por­tiert: Der Bra­ker Hafen habe „Poten­zi­al für Wachs­tum und Wei­ter­ent­wick­lung“. 2022 habe Bra­ke mit 6,85 Mil­lio­nen Ton­nen einen Rekord­um­schlag erzielt, so die Gut­ach­ter. Auf die­ser Grund­la­ge sagen sie ein kurz­fris­ti­ges Umschlags­plus (2025) auf 8,3 und ein mit­tel­fris­ti­ges (2035) auf 9,4 Mil­lio­nen Ton­nen vor­aus. Es bestün­den „Güter­um­schlag­po­ten­zia­le“, die die Ergeb­nis­se bis­he­ri­ger Spit­zen­jah­re überträfen.

Ernüch­tern­de Statistik

Ein Blick in die Sta­tis­tik – WATERKANT beob­ach­tet das Gesche­hen im Bra­ker Hafen seit lan­gem – sorgt indes für Ernüch­te­rung: 2001-2010 wur­den im Bra­ker Hafen im See­gü­ter­ver­kehr jähr­lich zwi­schen 4,7 und 5,7 Mil­lio­nen Ton­nen umge­schla­gen. Damals waren etwa 1,7 Kilo­me­ter Kaje ver­füg­bar. 2009 und 2012 wur­de deren Nord­erwei­te­rung – der so genann­te Nie­der­sach­sen­kai – für knapp 60 Mil­lio­nen Euro Steu­er­geld in zwei Etap­pen in Betrieb genom­men, die Bra­ker Fluss­ka­je wur­de so erst um 270 und dann um wei­te­re 180 Meter ver­län­gert. Der Umschlag leg­te gering­fü­gig zu, schwankt seit­her zwi­schen 5,2 und besag­ten 6,85 Mil­lio­nen Tonnen.

Von die­sem jüngs­ten Spit­zen­wert aus­zu­ge­hen, ist aller­dings mutig, denn die­ses 2022er-Ergebnis galt ja als Aus­nah­me­re­sul­tat der aktu­el­len welt­po­li­ti­schen Ent­wick­lung. Zudem knüpft die Stu­die ihre Pro­gno­sen an den Voll­zug der umstrit­te­nen Weser­ver­tie­fung, die zwar auch hier erneut gefor­dert wird, bis­lang aber nicht beschlos­sen, geschwei­ge denn begon­nen wor­den ist. Ohne Aus­bag­ge­rung sol­len 2025 nur rund 7,2 und 2035 knapp 8,1 Mil­lio­nen Ton­nen Jah­res­um­schlag erreicht wer­den. Die Gut­ach­ter gehen dem­nach ohne Ver­tie­fung von 5,5 Pro­zent Wachs­tum in zwei und 18 Pro­zent in elf Jah­ren aus. Ihre Vor­her­sa­gen „mit“ dem noch sehr fer­nen Fahr­rin­nen­aus­bau bedeu­te­ten sogar mehr als 20 Pro­zent Wachs­tum in zwei und 37 Pro­zent in elf Jahren.

Schwä­cheln­der Umschlag

Tat­säch­lich ist Bra­kes Hafen­um­schlag aktu­ell laut amt­li­cher Sta­tis­tik aber wie­der rück­läu­fig, die jüngs­ten Daten von Juli 2023 wei­sen ein Minus von zehn Pro­zent zum Vor­jah­res­mo­nat aus. Das ist nicht ganz über­ra­schend, denn in der gesam­ten Umge­bung – Bre­mer­ha­ven, Ham­burg, Rot­ter­dam, Antwerpen/Zeebrügge und ande­re mehr – ver­zeich­nen See­hä­fen der­zeit schwä­cheln­de Umschlä­ge. Das Sta­tis­ti­sche Bun­des­amt geht von kurz­fris­ti­gen Umschlags­min­de­run­gen aus, je nach Güter- und Ladungs­art um 5-10 Pro­zent. Das Bun­des­amt für Logis­tik und Mobi­li­tät (BALM) erwar­tet, dass das Vor­kri­sen­ni­veau trotz mode­ra­ten Wachs­tums mit­tel­fris­tig vor­erst uner­reich­bar bleibt. Die UN-Konferenz für Han­del und Ent­wick­lung (UNCTAD) pro­gnos­ti­ziert dem See­han­del bis 2028 Wachs­tums­ra­ten von jähr­lich rund zwei Pro­zent. Ange­sichts solch zahl­rei­cher Vor­her­sa­gen dürf­ten die Erwar­tun­gen der Brake-Studie selbst unter Annah­me von Energiewende- oder Klimaschutz-Wachstumsimpulsen unrea­lis­tisch sein.

Aus ihren Pro­gno­sen ent­wi­ckeln die Gut­ach­ter die For­de­rung unter ande­rem nach einer wei­te­ren Kajen­ver­län­ge­rung gen Nor­den. Die damit ver­bun­de­ne Ver­let­zung aus­ge­wie­se­ner EU-Naturschutzgebiete bleibt eben­so uner­wähnt wie die exis­ten­zi­el­le Gefähr­dung der benach­bar­ten Fähr­ver­bin­dung. Der Bra­ker Hafen wäre nach­weis­lich ein­zi­ger Nutz­nie­ßer eines hun­der­te Mil­lio­nen Euro teu­ren Maß­nah­men­pa­kets von Hafen­aus­bau und Unter­we­ser­ver­tie­fung – ein nur mit­tel­gro­ßer Hafen, der (laut einer 11,5 Jah­re umfas­sen­den Erhe­bung) im Schnitt nur von täg­lich 2,4 über­wie­gend klei­ne­ren Schif­fen ange­lau­fen wird: Weni­ger als fünf Pro­zent aller ein- oder aus­lau­fen­den Schif­fe hat­ten in den ver­gan­ge­nen knapp zehn Jah­ren einen Tief­gang von mehr als zehn Metern. Die aktu­el­le Fahr­was­ser­tie­fe beträgt 11,9 Meter, die geplan­te Ver­tie­fung soll 90 Zen­ti­me­ter mehr brin­gen – klingt wenig, birgt aber erheb­li­che Risi­ken unter ande­rem für Öko­lo­gie, Anrai­ner, Be- und Entwässerung.

Ob all das sol­che Inves­ti­tio­nen recht­fer­tigt, wird 2024 zu dis­ku­tie­ren sein.

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WATERKANT-Redaktion