„Krisengewinnler“: In der globalen Schifffahrt bestätigt sich gerade ein weiteres Mal, dass dieses Stichwort kein Vorurteil ist, sondern reale Verhältnisse beschreibt. Die Spannungen unter anderem in der Nahostregion nehmen brisant zu – und eine führende Containerreederei wie der dänische Møller-Mærsk-Konzern stellt unverhohlen fest, man blicke optimistischer als zuvor auf die eigene wirtschaftliche Entwicklung.
Kein Zweifel: Die Entwicklung im Roten Meer, in Gaza sowie aktuell zwischen Israel und dem Iran bringt gewohnte Lieferketten massiv durcheinander. Das treibt die Frachtraten in Höhen wie seit der Pandemie nicht mehr erlebt – zum Vorteil der Reedereien. Die Suez-Route durch das Rote Meer ist hochriskant, der als sicher angesehene Umweg um Südafrikas Kap der Guten Hoffnung verzögert und verteuert Lieferungen etwa zwischen Fernost und Europa, mit schwer wiegenden Folgen für logistische Abläufe und industrielle Prozesse.
Schaden für die einen, Nutzen für die anderen: Møller-Mærsk hat gerade bilanziert, dass das zweite Quartal 2024 im Vergleich zum ersten deutliche Verbesserungen brachte. Obwohl die Ergebniszahlen unter den Vergleichswerten des Vorjahres liegen, hat der Konzern seine früheren Prognosen nach oben korrigiert: So erwartet man jetzt ein Wachstum des globalen Containermarktes von 4-6 Prozent statt bisher angenommener 2,5-4,5 Prozent. Wie das Fachblatt Deutsche Verkehrs-Zeitung (DVZ) berichtet, rechnet Mærsk für sich selbst mit einem Jahresergebnis (EBIT) von 3-5 Milliarden US-Dollar, zuvor waren nur 1-3 Milliarden $ kalkuliert worden. Nicht unerfreut hatte Mærsk noch vor einer Woche in einer Mitteilung festgestellt, die Lieferketten-Probleme würden ja „mindestens bis Ende 2024 anhalten“.
Mærsk ist die zweitgrößte Linienreederei, der Schweizer Weltmarktführer MSC veröffentlicht bekanntlich keine Bilanzzahlen – der Drittplatzierte, Frankreichs CMA CGM, hingegen bestätigt, dass Mærsks aktuelle Zahlen keinen Sonderfall darstellen: Das maritime Portal GCaptain berichtete Ende Juli, mit rund sechs Millionen 20-Fuß-Standardcontainern (TEU) habe CMA CGM im zweiten Quartal 2024 etwa 6,8 Prozent mehr befördet als im Vergleichsquartal 2023. Der entsprechende Umsatz legte ebenfalls um 6,8 Prozent zu – dass der resultierende Nettogewinn sich indes im Vergleich zum Vorjahresquartal halbierte (661 Millionen statt 1,33 Milliarden $), sei auf Investitionen in Dekarbonisierung und Digitalisierung zurückzuführen. Auch weitere Konkurrenten haben teilweise kräftig zugelegt: Japans ONE, um nur ein Beispiel zu nennen, meldete eine Umsatzsteigerung um zwölf Prozent und revidierte seine Nettogewinnprognose von einer auf knapp 2,8 Milliarden $.
Chaotisierte Transportketten
Die aktuelle Krise ist abseits aller politischen Dimensionen logistisch vor allem durch multiple Verwirrungen gekennzeichnet. Hunderte Schiffe, die eigentlich via Suez fahren sollten, ums südafrikanische Kap zu schicken, torpediert Zeitpläne und chaotisiert Häfen wegen temporär fehlender oder sich unerwartet häufender Anläufe; Folgen für nachgelagerte Transportketten mal ausgeklammert. Unwetter im Süden Afrikas oder mangelhafte Infrastruktur, um die überraschende Menge passierender Schiffe etwa aufzutanken oder zu versorgen, verursachen weitere Engpässe.
Wie zu Pandemiezeiten, fehlen an entscheidenden Schnittstellen Leercontainer, weil die auf ungeplanten Umwegen unterwegs sind. Eine langsam wieder steigende globale Nachfrage bewirkt zunehmende Transportmengen – die aber zu bewältigen, mangelt es an Schiffsraum, weil einerseits die Fahrten länger dauern und andererseits die schon früher bestellten Neubauten nicht schnell genug fertig werden.
Und all das und mehr lässt, wie beschrieben, die Frachtraten – zum Nutzen der Reeder, zum Nachteil der Verbraucher – durch die sprichwörtliche Decke schießen. Der hier schon mehrfach verwendete World Container Index (WCI) des Londoner Beratungsbüros Drewry erreichte Mitte Juli einen Rekordwert von knapp 6000 $ pro 40-Fuß-Container. Spekulanten setzen derzeit zwar auf kommende Preisrückgänge, bauen dabei aber auf die Gerüchte über einen kommenden Waffenstillstand zwischen Israel und der Hamas – die jüngste Zuspitzung Israel-Iran ist da bislang noch nicht „eingepreist“.