Die Bombe platzte vergangenen Dienstag: „Interne Dokumente der Bundesregierung zeigen, wie skeptisch man einer staatlichen Rettung gegenübersteht“, meldete das NDR-Magazin Panorama 3 zum Thema Papenburger Meyer Werft. Wenige Tage zuvor hatte Bundeskanzler Olaf Scholz vor der Werftbelegschaft einen großen Auftritt: Das Unternehmen sei ein „industrielles Kronjuwel“; fraglich sei nicht, ob der Bund zu Hilfe komme, sondern nur das Wie.
Dies war womöglich eine gewagte Behauptung des Kanzlers, von dem manche seit der Cum-Ex-Affäre sagen, er habe ein „werte-volatiles Verhältnis zum Steuergeld“. Zwar bescheinigen – laut Panorama 3 – Wissenschaftler wie der Kölner Ökonom Michael Thöne dem Kanzler, er käme „aus der Nummer … nicht mehr raus“. Allerdings entscheiden über das Wie letztlich die Parlamente von Bund und Niedersachsen; und auch die EU-Kommission hat beihilferechtlich mitzureden.
Kreuzfahrtschiffbau:
Probleme von Anfang an
Im Mai 1986 hat die Meyer Werft ihr allererstes reguläres Kreuzfahrtschiff abgeliefert – und bereits damals gab es Probleme: Denn die „Homeric“ war 204 Meter lang und damit schon zu groß, um in Papenburg gebaut und via Ems aufs Meer überführt zu werden. Aber als führendes Unternehmen der Region hatte Meyer die lokale Politik längst fest im Griff: Weil der 29 Meter breite Neubau nicht durch die zu dieser Zeit 26 Meter breite Papenburger Seeschleuse gepasst hätte, ließ die Stadt diese kurzerhand auf 40 Meter erweitern. In Leer krachte es dann trotzdem, denn die Durchfahrt der Jann-Berghaus-Brücke war ebenfalls zu schmal: Sie wurde 1991 zunächst durch einen Neubau für 40-Meter-Passagen ersetzt und dieser 2010 auf 56 Meter erweitert; allein diese beiden Vorhaben kosteten die Steuerzahler 38,3 Millionen Euro.
Bis zum „Homeric“-Abenteuer hatte die Meyer Werft nur Behördenschiffe, Fähren und Tanker kleiner und mittlerer Dimensionen gebaut. Ihr bis dahin größtes Projekt war 1980 das Fährschiff „Viking Sally“ mit einer Länge von knapp 160 Metern gewesen – es gelangte 14 Jahre später unter dem Namen „Estonia“ zu trauriger Berühmtheit, als es mit mehr als 800 Menschen an Bord vor der finnischen Küste unterging. Die „Homeric“ indessen feierte Werftchef Bernard Meyer bei Ablieferung nach Agenturangaben als „unsere Visitenkarte, der Türöffner zum Weltmarkt“.
Er hat seit diesem Zeitpunkt geschätzte 60 Kreuzfahrtschiffe in Papenburg bauen lassen und abgeliefert – seine Vorgehensweise war dabei ebenso konsequent wie brachial. Weil „der Markt“ es ja verlangte, wurden die in Auftrag genommenen Neubauten immer länger, immer breiter, immer höher. Jüngste Schiffe sind rund 350 Meter lang und mehr als 40 Meter breit. Aber weil der Werftstandort nun einmal knapp 50 Kilometer von der Nordsee (Emden) entfernt und diese nur über eine teilweise mäandernde, meist unzureichend tiefe und oft zu enge Ems erreichbar ist, müssen Fluss und Natur halt angepasst werden; natürlich immer auf Kosten des Steuerzahlers.
Es ist zweifellos so, dass die Meyer Werft mit viel Kreativität dazu beiträgt, Hunderttausenden Kreuzfahrten anbieten zu können. Aber berechtigt ist auch die Feststellung, dass dies die Familie nicht nur auf Kosten vieler abhängig Beschäftigter reich gemacht hat, sondern dass eine ganze Region dieser Firma und ihren Ansprüchen unterworfen worden ist. In den 1990er Jahren haben Umweltschützer laut darüber nachgedacht, Strafanzeige gegen Werftboss Bernard Meyer zu stellen – wegen „Nötigung von Verfassungsorganen“. Es wurde nichts daraus, es wäre juristisch vermutlich chancenlos gewesen, moralisch aber durchaus berechtigt: Nahezu jedem übernommenen Neubauauftrag folgte zwangsläufig die Forderung nach Ems-Vertiefung hier oder Fluss-Ausbau dort. Aber noch während dies wasserbautechnisch oder umweltplanungsrechtlich geprüft wurde und das jeweilige Schiff längst nicht fertig war, wurde bereits der Auftrag fürs nächst größere Schiff akquiriert und eine weitergehende Anpassung eingefordert. Und immer ging das einher mit Druck auf die Politik, es galt ja, Arbeitsplätze in der strukturschwachen Region zu schützen.
Über die vielfältigen, teilweise auch unmoralischen Versuche, Lösungen zu erzwingen, wurde bereits berichtet: Standortverlagerung, Seitenkanal, Sperrwerk, abgekaufte Einsprüche und anderes mehr. Unterm Strich hat Meyer bislang immer gewonnen. Ob das auch jetzt so bleibt?
Noch einmal in Kürze: Mit der Pandemie brach das Kreuzfahrtgeschäft vorübergehend zusammen. Die Meyer Werft sagt, sie habe heute in ihren prall gefüllten Bestellbüchern noch unerledigte Aufträge aus der Zeit davor. Die noch gültigen Verträge von damals sähen nur eine Anzahlung von 20 Prozent vor, 80 Prozent würden erst bei Ablieferung fällig; das Gros des jeweiligen Auftrags müsse also von der Werft vorfinanziert werden. Zudem seien damals Preise fest vereinbart worden, angesichts drastisch gestiegener Energie- und Rohstoffkosten könnten die Schiffe daher heute oder morgen nicht mehr gewinnbringend gebaut werden.
Schiffbau-Knowhow verhökert
Schiffbauexperten halten diese Behauptungen zwar für durchaus schlüssig, sie sind jedoch angesichts bisheriger Verschlossenheit der Werftführung im Detail schwer überprüfbar – vielleicht für Gutachter, nicht aber für die Öffentlichkeit. Trotzdem soll nun eben diese Öffentlichkeit, der Steuerzahler, zur Kasse gebeten werden: Es geht um Aufstockung des Eigenkapitals durch Bund und Land Niedersachsen in Höhe von geschätzten 400 Millionen Euro; wofür beide gemeinsam einen 80-Prozent-Anteil des Unternehmens übernehmen wollen. Der Eigner-Familie Meyer blieben so derzeit nur rund 20 Prozent. Benötigt würde diese Kapitalerhöhung für bessere Kreditwürdigkeit, mit Hilfe von Milliarden-Bürgschaften – ebenfalls der öffentlichen Hand – solle dann die Vorfinanzierung der Auftragsabwicklung durch Banken abgesichert werden. Auch dies ist nicht ohne Weiteres überprüfbar, denn seit der Schifffahrtskrise 2008 ziehen sich Banken immer häufiger aus Schiffsfinanzierungen zurück.
Niedersachsens Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) erklärte vorgestern vor dem Landtag, es sei von „entscheidender volkswirtschaftlicher Bedeutung, unsere industriellen Kerneinheiten zu schützen und zu fördern“. Das ist zwar grundsätzlich richtig, weil in der Schiffbauindustrie vielfältiges technisches Knowhow in erheblichem Maße gebündelt ist. Es ist aber aktuell nicht zwingend glaubwürdig, denn Bundes- und Länderpolitik haben viel zu lange viel zu viel Schiffbau-Wissen außer Landes gehen oder ganz sterben lassen; vergangene Werftkrisen von Emden bis Stralsund sowie die folgenden sozialen Probleme in den jeweiligen Küstenländern belegen das eindrucksvoll. Das begann schon vor 50, 60 Jahren, als westdeutsche und westeuropäische Werften ihr Knowhow und ihre Technologie staatlich subventioniert etwa nach Asien (Japan, Südkorea) verkauften, um unter dem Etikett „Entwicklungshilfe“ zusätzliche Einnahmen zu generieren. Und bis heute erhalten hiesige Reedereien auch dann staatliche Hilfen, wenn sie ihre neuen Schiffe in Fernost statt im eigenen Lande bauen lassen.
Kriegsschiff-Bau als Zukunfts-Option?
Wahrscheinlicher dürfte es sein, dass aktuelle Pläne wie Energiewende und so genannte „Kriegstüchtigkeit“ den politischen Willen zum Schutz der „Kronjuwelen“ befördern – etwa indem, wie beschrieben, bei der Meyer Werft sowohl in Papenburg als auch in Rostock Konverterstationen entstehen und an der Warnow (gemeinsam mit Bremens Lürssen-Werft) Rüstungsaufträge erledigt werden. „Diese Großwerft“, erklärte kürzlich der Maritime Koordinator Dieter Janecek (Grüne) in einem Interview der Bremerhavener Nordsee-Zeitung, sei „von strategischer Bedeutung für den Industriestandort Deutschland“. Ein Kommentar in derselben Ausgabe erläutert dies so: „Die Meyer Werft ist der größte und wichtigste verbliebene Player im deutschen Schiffbau. Sie … kann für Deutschland künftig geostrategisch wichtig werden. Wer weiß, ob heimische Kapazitäten auch wieder beim Bau von Kriegsschiffen benötigt werden?“
Noch im September, so heißt es, müsse eine Klärung her. Ökonomen wie Marcel Fratzscher vom DIW Berlin, Clemens Fuest vom Münchener ifo-Institut oder Jens Boysen-Hogrefe vom Kieler IfW warnen – übereinstimmend mit dem von Panorama 3 zitierten „Regierungsdokument“ – vor öffentlichem Engagement, so lange sich kein zusätzlich unterstützender privater Investor finde. „Wenn von privater Seite niemand bereit ist, sein eigenes Geld auszugeben und ins Feuer zu stellen, dann ist das ein Signal, dass die Risiken so hoch sind, dass es vielleicht auch für das Geld des Steuerzahlers keine so gute Idee wäre“, spitzt etwa Boysen-Hogrefe diese Frage zu.
Teil des Deals seien Bedingungen wie ein Vorkaufsrecht für die Familie Meyer, wenn die öffentliche Hand in etwa drei bis vier Jahren wieder aussteigt, schreibt die Wirtschaftswoche. Das rückt den bereits erwähnten Punkt „Privatvermögen Meyer“ in den Fokus. Der Verband Schiffbau und Meerestechnik (VSM), dem Bernard Meyer führend angehört, behauptete jüngst, „dass Unternehmensgewinne vollständig in den Ausbau und die technologische Weiterentwicklung der Werft geflossen sind“. Woher dann aber das Geld stammt, das Meyer zu einem der reichsten Deutschen gemacht hat, bleibt offen. Panorama 3 nannte es „nicht ausgeschlossen …, dass Werfteigentümer Bernard Meyer mit seinem Privatvermögen vorübergehend die Rolle des privaten Investors spielen könnte“. Zuvor hatte der NDR an anderer Stelle berichtet, „der Patriarch“ wolle „eine Übernahme nicht klaglos hinnehmen“ und habe „davon gesprochen, ‚enteignet‘ zu werden“.