„Apontes MSC erobert den Hamburger Hafen“, titelte der römische Nachrichtenkanal Agenzia Nova heute früh – einen Tag nach der Zustimmung der Hamburger Bürgerschaft zum „HHLA-MSC-Deal“. Die Gewerkschaft ver.di war etwas schneller – noch gestern Abend hatte Hamburgs Bezirksleiterin Sandra Goldschmidt das parlamentarische Ja zum Einstieg der Reederei MSC beim lokalen Terminalbetreiber HHLA deutlich kommentiert: „Das ist ein schwarzer Tag für Hamburg.“
Eigentlich wäre dem nichts hinzuzufügen – stünde da nicht die Entscheidung der EU-Kommission aus, ob dem 49,9-Prozent-Anteil von MSC an der HHLA-Holding unter Wettbewerbs- und Subventionsaspekten zugestimmt werden kann. Verkauf unter Wert, 40-Jahres-Vertragslaufzeit, Erfahrungen mit Ver- und Rückkäufen öffentlichen Eigentums – all diese und viele andere Aspekte lassen Gegner des Deals trotz Skepsis gegenüber Brüssel ein bisschen hoffen. Zumal nicht einer der vielen angehörten Hafenexperten diesen Schritt so uneingeschränkt begrüßt hat, wie es sich der Hamburger Senat als Betreiber der Fusion gewünscht hätte. Was, wenn Brüssel derartige Kritik ernst nimmt?
Hamburgs Hafen hatte gestern wieder einmal weitgehend still gestanden: Ver.di hatte die HHLA-Beschäftigten in einen ganztägigen Streik gerufen, um Druck aufzubauen im Streit für den geforderten Sozialtarifvertrag. Es geht um eine tarifliche Vereinbarung zum Schutz der Belegschaft vor den Folgen kommender Automatisierung und anderer Schritte eines langjährig angelegten Konzernumbaus. Auch geplante organisatorische Änderungen sollen geregelt werden, die nicht nur bei der HHLA selbst, sondern vor allem auch beim Gesamthafenbetrieb (GHB) als flexiblem Personaldienstleister zu Arbeitsplatzabbau führen können. Ausdrücklich galt der gestrige Streikaufruf nicht nur für die HHLA selbst, sondern auch für ihre diversen lokalen Töchter und Subunternehmen – zudem waren die GHB-Kollegen, die aktuell bei einer der HHLA-Gesellschaften im Einsatz sind, zum Solidaritätsstreik aufgefordert. „Für die Kolleginnen und Kollegen geht es um Sicherheit in sehr unruhigen Zeiten,“ so ver.di-Gewerkschaftssekretär André Kretschmar in der Pressemitteilung zum Warnstreikaufruf.
Zukunft des Hafens im Dunkeln…
Zeitgleich schaute man nicht nur im Hafen, sondern in der ganzen Stadt gespannt auf die Bürgerschaft, die unter anderem über den seit einem Jahr heftig umstrittenen Einstieg des Genfer Reedereigiganten MSC bei der HHLA zu entscheiden hatte. Die regierende Koalition aus SPD und Grünen hatte – leider – wenig zu befürchten: Sie verfügt mit 86 der insgesamt 123 Sitze des Landesparlaments über eine sehr starke Mehrheit. Da der entsprechende Vertrag des Hamburger Senats mit der Reederei nur einer einfachen Mehrheit bedurfte, war die Sache irgendwie schon vorher klar – alles andere hätte an der Unterelbe vermutlich ein politisches Erdbeben bedeutet. Allerdings zog sich die Entscheidung dann aus formalen Gründen hin, etliche andere Tagesordnungspunkte waren zuvor abzuarbeiten – und in Sachen HHLA-MSC-Deal selbst hatte die oppositionelle CDU-Fraktion beantragt, über das strittige Vorhaben ein weiteres Mal zu diskutieren. Also wurde es schließlich Abend vor der finalen Abstimmung über die Zukunft des Hafens – praktisch wie sinnbildlich.
Experten wie Gewerkschaft sind sich, wenngleich teils unterschiedlich akzentuiert, einig, dass Hamburgs Hafen vor erheblichen Herausforderungen steht und einer Neubestimmung seiner Aufgaben und Möglichkeiten bedarf. Aber die jetzige Lösung gilt nicht nur bei ver.di und den Hafenbeschäftigten, sondern über die Stadt hinaus weit verbreitet als kurzsichtig und rückwärtsgewandt. Die zitierte römische Reaktion ist da nur ein Beispiel: MSC gehört der italienischen Milliardärsfamilie Aponte, hat ihren Firmensitz in der Schweiz und kämpft um eine globale Vormachtstellung. Gerade mit Blick auf dabei oft brachiale Praktiken von MSC in anderen Teilen der Welt bestehen in Hamburg erhebliche Zweifel, dass diese Fusion zukunftsträchtige Antworten und Konzepte hervorbringen kann. Der Senat leiste „Beihilfe zur Monopolbildung“ einer Reederei, „die durch die Missachtung von Beschäftigten- und Umweltrechten auffällt“, konstatierte Goldschmidt; und er gebe „die politische Kontrolle über öffentliches Eigentum und zugleich kritische Infrastruktur“ ab.
„Tag Eins“ der MSC-Zeitrechnung
Zugegeben, das alles sind keine neuen Argumente. Am Mittwoch haben Vertreter von SPD und Grünen in der Bürgerschaft der Opposition vorgeworfen, sie wiederhole hier nur vielfach vorgebrachte Kritikpunkte. Ja, aber nötig war das, weil SPD und Grüne monatelang alles, teils überheblich, beiseite gewischt hatten, was ihre Pläne hätte stören können. Und so gab es statt einer parlamentarischen Debatte nur einen Schlagabtausch. Ein Volksentscheid über Hamburgs Hafen-Zukunft – diese Forderung unter anderem der Linkspartei blieb ja leider vergeblich – wäre weitaus ehrlicher gewesen.
Die Hafenbeschäftigten und ihre Gewerkschaft sind, wie die Vergangenheit es mehrfach gezeigt hat, bereit, sich dringenden Zukunftsfragen in Zeiten „sozial-ökologischer Transformation unter den Vorzeichen von Globalisierung und Klimakrise“ (O-Ton ver.di) zu stellen. Was sie aber dafür erwarten, sind Absicherungen ihrer eigenen Zukunft als Beschäftigte. Das jedoch droht, mit Zustimmung des Senats, durch den Einstieg von MSC ins Wasser zu fallen. Ver.di wies exemplarisch darauf hin, die US-Schifffahrtsbehörde habe erst im Frühjahr gegen MSC eine Forderung von 63,3 Millionen Dollar unter anderem wegen Verletzung des US-Schifffahrtsgesetzes erhoben. Goldschmidt am Mittwoch Abend: „Morgen ist ‚Tag eins‘ der MSC-Zeitrechnung und selbstverständlich werden wir … weiter für jeden Arbeitsplatz in den Ring steigen!“