„Sie saugen nicht nur den Fisch ab, sondern auch die Profite“ – mit diesen drastischen Worten beschreibt das Recherche-Portal Follow the money (FTM), was seine Journalisten im westafrikanischen Senegal entdecken mussten. Es geht um Trawler, die unter senegalesischer Flagge heimische Gewässer plündern, die tatsächlich aber europäischen Eignern gehören. Und das geschieht mit Wissen und – mindestens stillschweigender – Billigung der EU-Kommission.
Ende 2024 habe die Brüsseler Kommission eine formelle Warnung an Senegal ausgesprochen, berichtet FTM in einer Mitte dieser Woche veröffentlichten Reportage: Es dulde illegale Fischerei vor der eigenen Küste und überwache Trawler unter senegalesischer Flagge mangelhaft. Die Kommission habe als Reaktion darauf sogar Verhandlungen mit der Regierung in Dakar über ein neues Fischereiabkommen ausgesetzt. – Tatsächlich, so FTM weiter, befinde sich aber mindestens ein Fünftel dieser Schiffe im Besitz europäischer Muttergesellschaften.
FTM ist nach eigenen Angaben eine „investigative Nachrichtenagentur für radikal unabhängigen Journalismus“. Reporter von FTM sind unter anderem im Senegal unterwegs gewesen. Sie sprachen mit mehreren Fischern in Küstengemeinden des Senegal, besuchten auch den Hafen von Dakar, befragten lokale Beamte und analysierten zudem die Eigentumsverhältnisse von Fischereifahrzeugen. Fasst man die Ergebnisse dieser Recherchen kurz zusammen, ergibt sich folgendes Bild: Die EU-Kommission wisse von diesen Verhältnissen; diese hätten starke Auswirkungen nicht nur auf die senegalesische Fischerei, sondern wegen deren Bedeutung für die nationale Wirtschaft auf das gesamte Land. Die Fangmengen insgesamt gingen drastisch zurück, die daraus sich ergebende Verarmung fördere nach lokalen Beobachtungen die Migration – aber die EU-Kommission versäume es, die so agierenden europäischen Unternehmen zur Ordnung zu rufen. Brüssel konzentriere sich stattdessen darauf, Migration in die EU zu stoppen, und gebe dafür sogar Geld aus statt, wie im Senegal überfällig, deren Ursachen zu vermeiden oder zu bekämpfen.
Das investigative Recherche-Portal Follow the money (FTM) stellt seine Beiträge in der Regel nur denen vollständig zur Verfügung, die entweder pro Artikel oder im Abonnement dafür bezahlen – denn diese Einnahmen sind die einzige Finanzierungsquelle der oft aufwändigen Arbeit dieses Journalisten-Teams. WATERKANT wurde ein Abo-Zugang zum Portal vorübergehend kostenfrei gewährt (danke, FTM!), deshalb können wir an dieser Stelle die Reportage über die Probleme der senegalesischen Fischerei in eigener Übersetzung und gekürzt zusammenfassen. Wer mehr wissen will, klicke auf das abgebildete Logo, es führt direkt zum aktuellen Beitrag.
Die sehr ausführliche, bebilderte FTM-Web-Reportage beginnt mit Eindrücken des 52 Jahre alten Fischers Amadou Diague aus der Gemeinde Guet N’Dar, einem Fischerviertel in der Nähe der zweitgrößten Stadt des westafrikanischen Landes, Saint Louis: Eigentlich sei Fischfang das „Lebenselixier“ seiner Gemeinde, aber die ausländischen Trawler leerten das Meer und raubten so den Menschen ihre lokalen Lebensgrundlagen; immer weniger Fische nur könnten die traditionellen, bunt bemalten „Pirogen“ anlanden, immer weniger Fang auf dem Markt verkaufen.
„Diese großen Trawler kommen nahe an die Küste, um Fische dort zu fangen, wo sie nicht fangen sollten“, zitiert FTM den 52-Jährigen. „Sie verstecken sich hinter der senegalesischen Flagge. Aber wir alle wissen, dass es eigentlich die Spanier sind, die kommen, um unseren Fisch zu stehlen.“ Eine erste Untersuchung durch FTM habe ergeben, dass mindestens ein Fünftel der 132 industriellen Fischtrawler unter senegalesischer Flagge im Besitz von Joint Ventures mit in der EU ansässigen Muttergesellschaften seien. Jahrelang habe die EU-Kommission die Gründung solcher Joint Ventures durch ein großes Fischereiabkommen mit der ehemaligen französischen Kolonie gefördert.
Das sei zwar verknüpft gewesen mit dem Versprechen, durch derart internationale Zusammenarbeit die heimische Fischereiindustrie und damit die wirtschaftliche Entwicklung Senegals anzukurbeln. In der Praxis jedoch würden die europäischen Mutterkonzerne die vereinbarten Beschränkungen für ausländische Schiffe umgehen, indem sie ihre Trawler durch im Senegal ansässige Tochterfirmen unter der Flagge des Landes fahren lassen: „Dies ermöglicht es ihnen, die Meere zu plündern und Gewinne an Muttergesellschaften in China, Frankreich und Spanien abzuzweigen“, so haben es lokale Fischer, Aktivisten und Beamte den FTM-Reportern berichtet.
Schwindende Fischbestände,…
Journalisten, so FTM, würden nur schwerlich Zugang zum Hafen von Dakar bekommen, weshalb man bei Hafenbesuch darauf verzichtet habe, den eigenen Beruf offenzulegen. Auch würden die Namen befragter Hafenangestellter nicht genannt, um sie zu schützen. Einer von ihnen habe erläutert, dass die lokalen Töchter einen heimischen Direktor bekämen, während die Chefs in Europa säßen – derart verdeckte Unternehmensstrukturen machten es praktisch unmöglich, Maßnahmen gegen Schiffe zu ergreifen, die missbräuchlich fischten, oder die Eigentümer zu verfolgen, die davon profitierten. FTM berichtet, im Hafen von Dakar Trawler unter senegalesischer Flagge beobachtet zu haben, die nach lokalen Auskünften spanischen, französischen oder auch chinesischen Eignern gehörten; am Lagerhaus eines multinationalen französischen Unternehmens hätten mehrere Schiffe mit chinesischen Namen gelegen. „Währenddessen“, schreibt FTM, „schwinden die Fischbestände vor Senegal und die Branche kämpft mit einem Abschwung der Exporteinnahmen“. Lokale Beamte hätten wiederholt die Befürchtung geäußert, dass das Problem junge Menschen veranlassen könne, zu migrieren und sich ein besseres Leben etwa in Europa zu suchen.
Frühere Fischereiabkommen der EU-Kommission mit dem Senegal hätten europäischen Schiffen nur den Fang von Thunfisch oder Seehecht gestattet. Mittels der beschriebenen Joint Ventures könnten sie nun auch andere Arten wie Sardinen oder Garnelen fangen; zudem erhielten sie durch bilaterale Verträge Senegals Zugang zu Fischereizonen in Nachbarländern wie Liberia und Gambia und zahlten weniger für Hafengebühren und Fischereirechte. Verstöße sind für zivilgesellschaftliche Kräfte schwer zu dokumentieren, weil Senegals Behörden etwa Inspektionen und Kontrollen – so sie denn stattfinden – nicht offenlegten.
Seit April 2024 habe sich die Situation im Senegal geändert: Der neue Regierungschef – Bassirou Diomaye Faye ist mit 45 Jahren der bislang jüngste Präsident des Landes – habe versprochen, in den Fischereisektor zu investieren, lokale Fischer zu unterstützen und die Vereinbarungen unter anderem mit der EU zu überprüfen. Schon einen Monat nach Amtsantritt habe seine Verwaltung eine Liste der in Senegal registrierten 132 Fischereischiffe veröffentlicht – und so teilweise eine Enthüllung tatsächlicher Eigentumsverhältnisse ermöglicht. Zum Beispiel ließen sich 26 Schiffe spanischen Mutterunternehmen zuordnen, weil Spanien ein Register aller ausländischen Töchter spanischer Unternehmen führe – Frankreich und viele andere EU-Mitgliedsstaaten hätten solche Register nicht.
…gefährdete Ernährungssicherheit.
Befürworter nachhaltiger Fischerei haben laut FTM zwar Fayes Initiative als Schritt zur Transparenz und Bemühen zur Bekämpfung illegaler Fischerei begrüßt. Es gebe Berichte, dass die Zahl der Trawler auf See stark gefallen sei, aber illegale Aktivitäten seien weiter ein Problem. Andererseits habe die Regierung aber die Fischerei als Treiber wirtschaftlicher Entwicklung eingestuft und steigere deren Industrialisierung mit finanziellen Anreizen: Unternehmen, die mehr als 80 Prozent ihrer Fänge exportieren oder verarbeiten, werden die Steuern halbiert und sie von Zöllen befreit. Bislang wirkt das laut FTM eher kontraproduktiv: Statt dass Exporte Devisen brächten, erwiesen sich die Vergünstigungen als Magnet für ausländische Unternehmen und gefährdeten so die Ernährungssicherheit und den Lebensunterhalt aktiver Fischer und vieler Frauen in Fisch-Verarbeitung und -Handel.
„Der Fisch verschwindet, aber es gibt im Gegenzug kein Geld“, zitiert FTM den Campaigner Bassirou Diarra von der in London ansässigen, global aktiven Organisation Environmental Justice Foundation (EJF). Seit Jahren habe die Regierung zu wenig Maßnahmen gegen ausländische Fischereifirmen ergriffen – im Ergebnis würden jetzt junge Menschen, die keine Arbeit finden können, als Migranten nach Europa abreisen. Im Oktober vergangenen Jahres habe die EU-Kommission dem Senegal ein Förderpaket in Höhe von 30 Millionen Euro angeboten, um unregelmäßige Migration zu verhindern – einen Monat später habe sie, siehe oben, die Verhandlungen über ein (tendenziell auch Migration verhinderndes) Fischereiabkommen auszusetzen.
An sich, so berichtet FTM weiter, dürften industrielle Trawler nicht innerhalb der senegalesischen Zwölf-Meilen-Zone fischen; die sei für die Pirogen, die traditionellen Holzkanus, und deren Sardinenfang reserviert. Dennoch beklagen Fischer ständige Verstöße gegen diese Regel, immer wieder komme es in Küstennähe zu Zusammenstößen von Booten und Trawlern – auch, weil Letztere bei Dunkelheit ihre Lichter löschten und Kennzeichen verdeckten. Solche Kollisionen hätten auch bereits zu Todesopfern geführt, zitiert FTM noch einmal Amadou Diague: Anfangs hätten vor allem chinesische Schiffe in Küstennähe Sardinen gefischt, inzwischen hätten die Europäer das kopiert. „Sie kommen hauptsächlich nachts, damit wir sie nicht erkennen.“ Aber Diague stellt auch fest: „Es ist gut, dass unsere neue Regierung endlich hart gegen diese ausländischen Schiffe vorgeht“ – seit dem Amtsantritt der Regierung Faye im vergangenen Jahr schütze ein Marineschiff die Holzboote heimischer Fischer vor aggressiven ausländischen Trawlern.
Amadou Diague: „Der Diebstahl unserer Fische muss aufhören.“