Der Naturschutzbund Deutschland (NABU) hat gestern in einem Offenen Brief an die zuständigen Bundesministerien scharfe Kritik an den vorliegenden Entwürfen künftiger Raumordnungspläne für Nord- und Ostsee formuliert. Das 2020-Ziel der europäischen Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie (MSRL) – die Erreichung eines guten Umweltzustands der Meere – werde mit diesen Plänen „krachend verfehlt“, mahnt laut NABU-Pressemitteilung der Meeresschutz-Referent der Organisation, Kim Detloff.
Gestern war die Frist für die erste Runde der Öffentlichkeitsbeteiligung zur Fortschreibung der marinen Raumordnung abgelaufen. In diesen so genannten Raumordnungsplänen sind die verschiedenen Nutzungsanforderungen und Schutzansprüche auf und in den Meeren – in den jeweiligen nationalen Ausschließlichen Wirtschaftszonen (AWZ) – festzulegen, es geht um das Mit-, Neben- oder Gegeneinander: Einerseits sind Schutzgebiete und wichtige Wanderkorridore für die Meeresfauna zu sichern, andererseits sollen Nutzungen gesichert und aufeinander abgestimmt werden, also beispielsweise Anzahl, Häufung und Größe von Windkrafträdern, „Straßen“ für die Schifffahrt, Gebiete für die Fischerei oder Flächen, in denen Rohstoffe abgebaut werden dürfen. Die Entwürfe sind erarbeitet und vorgelegt worden vom Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH), das – zum Amtsbereich des Bundesverkehrsministeriums gehörend – traditionell eher für eine nutzungsorientierte Meerespolitik „steht“.
Das Stichdatum des genannten Fristablaufs war für den NABU Anlass, sich in dem Offenen Brief an Bundesministerin Svenja Schulze (Umwelt) sowie ihre Kollegen Horst Seehofer (Inneres) und Peter Altmaier (Wirtschaft) zu wenden. Es ist nicht ersichtlich, warum der Brief nicht auch den Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer gerichtet worden ist; die Pressemitteilung zitiert den NABU-Präsidenten Jörg-Andreas Krüger mit den Worten: „Daher wenden wir uns persönlich an die drei hauptverantwortlichen Minister.“ – Über die daraus sich ergebende Einschätzung der Bedeutung Scheuers darf munter spekuliert werden…
„Gesunde Meere sind die Voraussetzung für eine nachhaltige maritime Wirtschaft“, formuliert der NABU – was nicht unbedingt bedeutet, dass die Organisation der ökonomisch orientierten Nutzung irgendeinen Vorrang einräumen möchte. Vielmehr betont die Stellungnahme mit den Worten von Detloff, es sei „an der Zeit, den Natur- und Klimaschutz zum übergeordneten Ziel unserer Meerespolitik zu machen. Die Zeit des endlosen blauen Wachstums ist vorbei“. Allerdings verweist die Pressemitteilung auch auf die Forderung der Europäischen Kommission, „dass der Schutz der Meere ins Zentrum zukünftiger Raumordnungspläne rückt“. Das sei in den Entwürfen „noch nicht“ zu erkennen, so der NABU – verkennt oder ignoriert dabei aber, dass die Meerespolitik der EU schon immer vorrangig nutzungsorientiert gewesen ist.
„In seinem offenen Brief“, so die Pressemitteilung weiter, „fordert der NABU insbesondere die Meeresschutzgebiete des Natura-2000-Netzwerks wirksam und sie zu ökologischen Vorrangflächen mit Ausschluss schädlicher Nutzungen zu machen. Darüber hinaus müssen wichtige Wanderkorridore für Schweinswale, Zug- und Rastvögel freigehalten und die natürlichen Klimafunktionen der Meere als Kohlenstoffspeicher gestärkt werden.“ Weiter heißt es unter Berufung auf Detloff: „Die ökologischen Belastungsgrenzen der Nord- und Ostsee müssen den Rahmen für wirtschaftliche Interessen setzen.“ Und: „Um erneuerbare Energie auf dem Meer zu privilegieren, müssen erst die Fischerei, die Schifffahrt und der Kiesabbau zurückgefahren werden.
Zwar übt der NABU auch Kritik an der jüngst aktualisierten räumlichen Festlegung für die Offshore-Windenergie: ‚Klimaschutz im Meer bedeutet mehr als Windräder. Das aktuelle Ziel von 40 Gigawatt Offshore-Strom wäre in der schon jetzt übernutzten Nord- und Ostsee nicht realisierbar und mit geltendem Naturschutzrecht nicht vereinbar“, wird wiederum Detloff zitiert. Auf einer Webseite zur Marinen Raumordnung fordert der NABU unter anderem „Naturverträgliche Windenergie: Ökologische Konflikte durch richtige Standortwahl und stufenweisen Ausbau vermeiden“. Was an dieser Stelle aber fehlt, ist die dringende Forderung nach einer längst überfälligen Beantwortung der Frage, WIE umweltverträglich Offshore-Windkraft eigentlich ist mit ihren multiplen Anforderungen an eine hochtechnisierte Infrastruktur sowohl auf See als auch an den Küsten. Es gibt bis heute keine gewissenhafte und umfassende Untersuchung, welcher Aufwand eigentlich dazu gehört, die immer größer werdenden Rotoren auf See zu bauen, zu betreiben und irgendwann auch wieder abzubauen. Eine Gesamtenergiebilanz, die nicht nur die „normale“ Kette Rohstoff-Produktion-Installation-Betrieb-Wartung-Deinstallation beinhaltet, sondern auch den Aufwand für spezielle Transport- und Hafensuprastruktur, für Bau und Betrieb von Spezialschiffen, für bisherige (und meist unzureichende) Umweltschutzmaßnahmen wie „Blasenschleier“ und ähnliche Maßnahmen, für Verkabelung und Umspannstationen (und vieles andere mehr) einschließt, könnte vielleicht manch einen Offshore-Windkraft-Befürworter mindestens zum Nachdenken bringen.
Abschließend kritisiert der NABU in seiner Pressemitteilung zu recht: „Trotz der großen meerespolitischen Bedeutung sieht der Raumordnungsprozess keine parlamentarische Befassung vor.“
NABU-Infos zur Marinen Raumordnung: https://www.nabu.de/MRO