Corona-Pandemie: Seehäfen jammern

Die Coro­na­kri­se set­ze den See­ha­fen­be­trie­ben stark zu, behaup­te­te der Bran­chen­ver­band Anfang die­ser Woche. Das klingt dra­ma­tisch und ist prompt gekop­pelt mit der For­de­rung an die Bun­des­re­gie­rung, sich mehr für die Hafen­wirt­schaft zu enga­gie­ren und „eine ehr­gei­zi­ge Stand­ort­po­li­tik“ zu betrei­ben. Wer genau­er hin­schaut, gewinnt aber einen etwas ande­ren Eindruck. 

Die Pres­se­mit­tei­lung des Zen­tral­ver­bands der deut­schen See­ha­fen­be­trie­be (ZDS) zitier­te am ver­gan­ge­nen Mon­tag nach der Jah­res­pres­se­kon­fe­renz in Ham­burg den Ver­bands­prä­si­den­ten Frank Dree­ke mit den Wor­ten: „Durch die Coro­na­pan­de­mie kam es zu deut­li­chen Ver­lus­ten bei den Umschlags­men­gen, die sich auch in den Betriebs­er­geb­nis­sen und bei der Inves­ti­ti­ons­fä­hig­keit der Unter­neh­men nie­der­schla­gen.“ Gestützt auf Anga­ben des Sta­tis­ti­schen Bun­des­amts bilan­zier­te der ZDS für das ers­te Halb­jahr 2020 in den deut­schen Häfen einen Gesamt­um­schlag von 135,7 Mil­lio­nen Ton­nen, 15 Mil­lio­nen Ton­nen oder zehn Pro­zent weni­ger als im ers­ten Halb­jahr 2019.

Coro­na, Coro­na, Coro­na: Die Pan­de­mie und die Maß­nah­men zu ihrer Ein­däm­mung sind zwei­fel­los Ursa­che manch wirt­schaft­li­chen Ein­bruchs, die­nen oft aber auch als Vor­wand oder Aus­re­de. Wie so oft; rela­ti­vie­ren sich sol­che Branchen- oder Lobby-Statements schnell bei einem Blick in die Details: So stellt der ZDS selbst fest, dass in der jün­ge­ren Ver­gan­gen­heit der Umschlag rela­tiv kon­stant bei etwa 300 Mil­lio­nen Ton­nen pro Jahr gele­gen habe, mit Schwan­kun­gen „um weni­ger als ein Pro­zent“. Da der Ver­band für das gan­ze Jahr 2020 einen Rück­gang des Gesamt­um­schlags „im mitt­le­ren ein­stel­li­gen Bereich“ erwar­tet, scheint somit seit Juli eine kräf­ti­ge Erho­lung ein­ge­setzt zu haben – was durch­aus mit ande­ren Zah­len kongruiert:

  • Nicht nur Ham­burg als größ­ter deut­scher Hafen hat­te bereits Ende August ent­spre­chen­de Zuver­sicht bekun­det. Laut einer Zwi­schen­bi­lanz für das ers­te Halb­jahr 2020 belief sich der gesam­te See­gü­ter­um­schlag auf 61,2 Mil­lio­nen Ton­nen, zwölf Pro­zent weni­ger als im Vor­jah­res­zeit­raum. Im ein­zel­nen bedeu­ten etwa 42,5 Mil­lio­nen Ton­nen Stück­gut­um­schlag ein Minus von 12,2 Pro­zent, ein Mas­sen­gut­um­schlag von 18,7 Mil­lio­nen Ton­nen wird trotz beträcht­li­cher Zuwäch­se bei Getrei­de und Dün­ge­mit­teln mit minus 11,7 Pro­zent bilan­ziert. Und der Con­tai­ner­um­schlag von 4,1 Mil­lio­nen TEU schlägt mit minus 12,4 Pro­zent zu Buche. Den­noch zeig­te sich das Manage­ment des Ham­bur­ger Hafens damals bereits zuver­sicht­lich, „die Tal­soh­le der pan­de­mie­be­ding­ten Rück­gän­ge im See­gü­ter­um­schlag inzwi­schen erreicht“ zu haben.
  • Auch Bre­mens Hafen­se­na­to­rin spricht ver­hal­ten von „Licht und Schat­ten“ in den Häfen und bilan­ziert fürs ers­te Halb­jahr „deut­lich gerin­ge­re Umschlags­rück­gän­ge“ als befürch­tet. Das Minus von nur 4,3 Pro­zent dürf­te aller­dings den ohne­hin schwä­cheln­den inner­städ­ti­schen bre­mi­schen Häfen zuzu­schrei­ben sein, denn Bre­mer­ha­ven erreich­te trotz Pan­de­mie ein Plus von 0,8 Prozent.
  • Unter den zehn größ­ten deut­schen Hafen­stand­or­ten konn­te im ers­ten Halb­jahr Sta­de an der Unter­el­be sogar ein Plus von 10,6 Pro­zent ver­zeich­nen, vor­ran­gig aus dem loka­len Bauxit-Umschlag für Deutsch­lands ein­zi­ges Aluminiumoxid-Werk.

Nahe­zu alle Erhe­bun­gen unter­schied­li­cher Insti­tu­te und Regio­nen bestä­ti­gen, dass der weit­ge­hen­de glo­ba­le Lock­down in den ers­ten Mona­ten die­ses Jah­res zu mas­si­ven Ein­brü­chen im Welt­han­del und damit auch in der Welt­schiff­fahrt geführt hat. Es zeigt sich aber auch, dass es seit Beginn des Som­mers – in unter­schied­li­chem Maße – wie­der auf­wärts geht. So klagt zwar der größ­te Kon­kur­rent deut­sche Häfen, Rot­ter­dam, über ein Minus von neun Pro­zent in den ers­ten drei Quar­ta­len, räumt aber ein, dass seit Juli bereits deut­li­che Stei­ge­run­gen fest­zu­stel­len sei­en. Ant­wer­pen bilan­ziert einen Umschlags­rück­gang von 4,4 Pro­zent für die ers­ten neun Mona­te, stellt aber fest, dass seit Juli die Men­gen wie­der stark anzögen.

Der monat­lich vom Esse­ner RWI – Leibniz-Institut für Wirt­schafts­for­schung gemein­sam mit dem Bre­mer Insti­tut für See­ver­kehrs­wirt­schaft und Logis­tik (ISL) erstell­te Containerumschlag-Index von 64 welt­weit erfass­ten Häfen mel­de­te für Sep­tem­ber ein „All­zeit­hoch“ von 119,7 Punk­ten – wobei „100“ den defi­nier­ten Stand von 2015 meint. Der „Nordrange-Index“ für Nord­west­eu­ro­pa, also mit den deut­schen Häfen, lag bei 111,6 Punk­ten, nach­dem er im Juni noch knapp über 100 gele­gen hatte.

Um das Bild abzu­run­den, blie­be noch zu erwäh­nen, dass – von wegen „Inves­ti­ti­ons­fä­hig­keit“ – alles Kri­sen­ge­re­de hie­si­ge Häfen nicht an Expansions-Investitionen hin­dert: Die Ham­burg Port Aut­ho­ri­ty (HPA) ver­ein­bar­te soeben eine Koope­ra­ti­on mit dem marok­ka­ni­schen Mit­tel­meer­ha­fen Tan­ger Med; Ham­burgs staat­li­cher Ter­mi­nal­be­trei­ber HHLA erwarb einen Mehr­heits­an­teil an einer Erwei­te­rung im Adria-Hafen Tri­est; und die pri­va­te Ham­bur­ger Eurokai-Gruppe, Part­ner der bre­mi­schen BLG in der gemein­sa­men Gesell­schaft Euro­ga­te, baut ihr Enga­ge­ment beim Ter­mi­nal­be­trei­ber Cont­ship Ita­lia aus.

Kri­se? Wel­che Krise?…

 

Eine ähn­li­che Ver­si­on die­ses Tex­tes erscheint in der heu­ti­gen Aus­ga­be der Tages­zei­tung „jun­ge Welt“.

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WATERKANT-Redaktion