In den großen Seehäfen Norddeutschlands gärt der Unmut der Beschäftigten. Seit Mitte April verhandelt die Gewerkschaft ver.di mit dem Zentralverband der Deutschen Seehafenbetriebe (ZDS) über einen neuen Lohntarifvertrag für rund 10.000 Beschäftigte unter anderem in Hamburg, Bremen/Bremerhaven und Wilhelmshaven.
Zu Beginn des zweiten Quartals hatte die Bundestarifkommission Seehäfen (BTK) der Gewerkschaft beschlossen, eine Stundenlohnerhöhung von 5,9 Prozent (mindestens aber 1,40 Euro) bei 12 Monaten Laufzeit zu fordern, begleitet von Freizeit- und Urlaubsgeldbestandteilen. Die Kolleginnen und Kollegen in den Häfen waren überzeugt davon, dass sie das verdient hätten: Im vergangenen Jahr hatten sie sich mit nur einem Prozent plus Corona-Einmalzahlung abspeisen lassen, hatten – teilweise mit Murren – sozusagen Rücksicht genommen auf die schwierige Situation der Häfen in Corona-Zeiten. Denn allen war klar, dass ohne den oft erschöpfenden Einsatz der Hafenarbeiterinnen und -arbeiter eine angemessene Versorgung von Bevölkerung und Wirtschaft während der Pandemie kaum aufrecht zu erhalten gewesen wäre.
Tatsächlich aber hatten die Umschlagszahlen der meisten Hafenbetriebe im Frühjahr 2020 nur einen kurzen, wenngleich heftigen Knick erlitten. Seither geht es bislang ungebrochen wieder aufwärts. Gerade meldete beispielsweise der Hamburger Hafen, der Seegüterumschlag habe „sich im ersten Quartal 2021 positiver als erwartet“ entwickelt. Insbesondere Container- und Massengut-Verkehre verzeichneten deutliches Wachstum, lediglich der Stückgutumschlag bremste die Bilanz geringfügig auf ein Gesamtplus von 0,4 Prozent gegenüber dem Vorjahresquartal. Und die bremischen Häfen „konnten im ersten Quartal dieses Jahres … ihren Gesamtumschlag im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 3,1 Prozent auf 17.482 Millionen Tonnen steigern“, so die Hafenbehörde bremenports. Aus Sicht der Gewerkschaft Grund genug für die Feststellung: „Jetzt ist es an der Zeit, dass der Einsatz der Beschäftigten entsprechend honoriert wird!“
„Provokation“ der Arbeitgeber
In insgesamt fünf Verhandlungsrunden hatte der ZDS zunächst ein Angebot präsentiert, das ver.di als „Provokation“ einstufte, später bewegte sich die Arbeitgeberseite zwar langsam, aber aus Gewerkschaftssicht immer noch „unzureichend“. Nach der bislang letzten Verhandlung am 27. Mai lehnte ver.di sowohl 2,6 Prozent für zwölf als auch 3,1 Prozent für 15 Monate Laufzeit ab. Die Diskrepanz zwischen Forderung und Angebot führte dazu, dass zum ersten Mal seit vielen Jahren die Verhandlungen nicht innerhalb der bis Ende Mai geltenden Friedenspflicht abgeschlossen werden konnten. Bereits im Mai waren die Hafenarbeiterinnen und -arbeiter an allen Standorten massenhaft einem BTK-Aufruf gefolgt, freiwillige Mehrarbeit abzulehnen. Das hat – beabsichtigt – zu Verzögerungen der Abläufe geführt und den Druck in den Verhandlungen erhöht.
Im Hamburger Hafen herrscht – momentan noch im Unterschied zu anderen Häfen – eine „begleitende Unruhe“: HHLA und Eurogate haben Pläne zu Automatisierung und Arbeitsverdichtung angekündigt, die einen massiven Arbeitsplatzabbau bedeuten würden. Auch wird seit Ende vergangenen Jahres nicht-öffentlich über eine Fusion von HHLA und Eurogate verhandelt. Zwar stocken die Gespräche derzeit – aber die Hafenarbeiterinnen und -arbeiter sind höchst besorgt. Denn ein derartiger Zusammenschluss könnte auch zu einem gemeinsamen Personal-Pool des neuen Konzerns führen. Damit wäre langfristig der Gesamthafenbetrieb (GHB) als Personaldienstleiter für die Hafeneinzelbetriebe, der mit seinen knapp 1000 Arbeitsplätzen auch eine tarifstabilisierende Funktion hat, gefährdet. Vor diesem Hintergrund hatte ver.di die Beschäftigten in Hamburg bereits Anfang Mai zum jährlich zelebrierten „Hafengeburtstag“ zu einer Protestkundgebung aufgerufen.
Der anhaltend hohe Güterverkehr verlangsamt an den Terminals mittlerweile die Umschlagszeiten. Sowohl die Reederei Mærsk als auch CMA CGM haben deswegen mehrere Linienschiffe nach Bremerhaven oder an den JadeWeserPort (JWP) in Wilhelmshaven umgeleitet – und mit entsprechenden Pressemitteilungen versucht, Stimmung gegen die Hamburger Hafenbeschäftigten zu schüren. Vergangenes Wochenende gab die HHLA bekannt, mit der chinesischen Reederei COSCO über eine Beteiligung am Terminal Tollerort zu verhandeln – eine Idee, die bereits vor einigen Jahren erstmals diskutiert und auf heftigste Kritik auch der Belegschaft gestoßen war.
All diese Umstrukturierungspläne deuten auf eine verschärfte Vorgehensweise der Hafenbetriebe hin. Der weitere Verlauf der Tarifrunde wird zeigen, welche Antwort die Beschäftigten zumindest in Lohnfragen geben wollen.
Nachtrag 10. Juni 2021: ver.di teilte gestern in einer Pressemitteilung mit, mit dem ZDS einen Tarifabschluss erreicht zu haben. Danach sollen die Beschäftigten rückwirkend ab 1. Juni 2021 eine tabellarische Lohnerhöhung von 3,0 Prozent sowie eine Erhöhung des
Urlaubsgeldes um 60 Euro bei einer tarifvertraglichen Laufzeit von 12 Monaten erhalten. Für die Beschäftigten in Vollcontainerbetrieben erhöhe sich zudem die wiederkehrende Zulage um jährlich 80 Euro. Laut ver.di bedeutet der Abschluss eine Grundlohnerhöhung von bis zu 3,3 Prozent.