Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat sich in Norwegen über dortige Erfahrungen mit CCS, der riskanten Kohlendioxid-Speicherung, informiert. Der NDR sieht darin zwar eine „erstaunliche Kehrtwende“ des Grünen-Politikers – dabei folgt der doch nur brav seinem Cum-Ex-Kanzler Olaf Scholz, der schon im vergangenen Jahr von einer CO2-Pipeline fasziniert war.
„Noch 2012 hatte er als grüner Energiewendeminister von Schleswig-Holstein das Verbot der unterirdischen Speicherung des Klimagases betrieben“, berichtete der NDR gestern Abend: „Jetzt, als Bundeswirtschaftsminister, steht er der Technik aufgeschlossen gegenüber“. – Richtig daran ist, dass Habeck zwar einst gegen CCS agiert hat, allerdings verhalten. Falsch ist, dass man über die jetzige Kehrtwende erstaunt sein müsste, hat doch derzeit für Habeck und seine Partei kaum noch etwas Gültigkeit, was sie vor ihrer Rückkehr zur Regierungsmacht vertreten haben.
Zum Verständnis: Die Abkürzung CCS steht für den englischen Begriff Carbon Dioxide Capture and Storage und meint, bei industriellen Prozessen entstehendes Kohlendioxid aus den Abgasen zu separieren und dann als angebliche Klimaschutz-Maßnahme in unterirdische oder unterseeische „Endlager“ zu verpressen.
Verstecken statt vermeiden…
„Die so genannte CCS-Technologie … steht auf sehr wackligen Beinen und die Widerstände werden immer größer: Neben Sicherheits- und Nutzen-Kosten-Zweifeln wird vor allem kritisiert, dass CCS das Kohlendioxid nur versteckt statt es zu vermeiden – und so die Entwicklung einer wirklich CO₂-armen Energiegewinnung behindert.“ Dieser Satz stammt aus einer früheren Ausgabe unserer Zeitschrift (März 2009); er ist somit 14 Jahre alt – und trotzdem hochaktuell: Als er publiziert wurde, versuchte gerade die damals von Union und FDP getragene Bundesregierung, die CCS-Technologie in Deutschland möglich zu machen. Es gab erheblichen Widerstand von Bürgerinitiativen, Umweltverbänden und auch von den seinerzeit oppositionellen Grünen: Damals wie heute wurde und wird unter anderem befürchtet, der Verpressungsdruck des CO₂ könne im Lagergestein gebundene Schadstoffe freisetzen und Grundwasser oder Umwelt schädigen. „Saubere“ Separierung wird angezweifelt, auch direkter Wiederaustritt des verpressten Gases durch Leckagen sei denkbar, was die teure „Klimaschutz“-Maßnahme CCS ad absurdum führen würde.
Besonders in Niedersachsen und Schleswig-Holstein war damals der Widerstand groß, weil es dort ausgebeutete Erdgas-Lagerstätten gibt, die für CCS als geeignet gelten. Habeck – damals in Schleswig-Holstein Oppositionsführer, ab 2012 dann stellvertretender Regierungschef sowie Klimaschutz- und Umweltminister – sorgte maßgeblich mit dafür, dass CCS seit gut zehn Jahren in Deutschland durch das so genannte Kohlendioxid-Speicherungsgesetz (KSpG) stark eingeschränkt wurde.
Allerdings: Ende 2021, also noch vor der Scholz-Habeck‘schen „Zeitenwende“, beschloss die Berliner Ampelkoalition, im angeblichen Interesse der „Klimaneutralität“ dem Einsatz der umstrittenen CCS-Technologie nun doch den Weg zu ebnen. Da seinerzeit in das KSpG ausdrücklich auch die Option regelmäßiger so genannter Evaluierungen eingebaut worden war, veranlasste derselbe Habeck, nunmehr Bundeswirtschaftsminister, eine solche Maßnahme – und die führte im Dezember 2022 zu einem Ergebnisbericht, der laut Handelsblatt „schon ab 2030 … die Nutzung, Abscheidung und Speicherung von Kohlendioxid (CCS) ‚im Megatonnen-Maßstab‘ vor allem für die Industrie“ empfiehlt. Kehrtwende eben – höchste Zeit, sich bei den schon seit rund 25 Jahren CCS-erfahrenen Norwegern auf neuesten Stand bringen zu lassen…
Die Nordsee im Fokus
Im Fokus des ministeriellen Interesses steht nicht zuletzt auch die Nordsee: Pipeline-Planungen, wie im vergangenen Sommer berichtet, sind da nur eine Variante – der besagte Evalutationsbericht favorisiert aber auch direkte CO2-Speicherung in deutschen Gewässern. Während nämlich das KSpG bei CCS-Projekten an Land den jeweiligen Bundesländern noch unmittelbaren Einfluss einräumt, was die Umsetzung konkreter Projekte eventuell auch erschweren könnte, unterliegen die Meeresgebiete der Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) der alleinigen Bestimmungsgewalt des Bundes.
Gerd-Christian Wagner, seit 2006 ununterbrochen amtierender Bürgermeister der friesländischen Stadt Varel und Vorsitzender der überwiegend von küstennahen Gebietskörperschaften getragenen Schutzgemeinschaft Deutsche Nordseeküste e. V. (SDN), macht das wütend: Die Absicht des Bundes, „CO₂ zukünftig unter der Nordsee deponieren zu wollen“, sei – wie der Umgang mit dem Hamburger Hafen-Schlick – nur „eine weitere Art der Müllbeseitigung im Sinne ‚aus den Augen, aus dem Sinn‘“, heißt es in einer aktuellen Pressemitteilung der SDN. Es gelte, die Entstehung des Klimagases zu vermindern, und nicht, das Problem per kosten- und energieintensiver, unsicherer Einlagerung auf kommende Generationen zu verlagern. Die Nordsee, so Wagner, sei schließlich schon heute als Industriegebiet bei weitem übernutzt.
Gerade die Sicherheitsfrage ist bei CCS seit langem umstritten, glaubhaft ausgeräumt werden konnten die vielfältigen Bedenken bisher aber nicht. 2011 hatte eine SDN-Mitgliederversammlung bereits eine Resolution gegen CCS-Vorhaben im Meer verabschiedet und – wie etliche andere Organisationen auch – ein komplettes Verbot dieser Technologie gefordert. So war jener zivilgesellschaftliche Druck aufgebaut worden, der damals CCS vorerst blockieren half. Sehr zum Leidwesen der Industrie, die damals wie heute auf massive Subventionen hofft und in CCS ein gutes Geschäft wittert – zumal die Technologie in anderen Staaten längst angewendet wird. Daher bringt Habecks Kehrtwende jetzt nicht nur die SDN in Rage, auch der Umweltverband BUND verlangte bereits kurz vor Weihnachten uneingeschränkten Schutz für die Meere. Die Ampel-Koalition müsse sich klar zum Vorsorgeprinzip bekennen „und darf den klimaschädlichen Phantasien der Industrie nicht nachgeben.“
Eine ähnliche Version dieses Beitrags findet sich auch
in der Tageszeitung „junge Welt“ (7. Januar 2023).