Bremer Koalition für Rückflaggung

Die Regie­rungs­ko­ali­ti­on im Bun­des­land Bre­men will sich dafür ein­set­zen, dass in der Han­se­stadt regis­trier­te Ree­de­rei­en ver­mehrt unter deut­scher Flag­ge fah­ren – so steht es zumin­dest im neu­en Koali­ti­ons­ver­trag von SPD, Lin­ken und Grü­nen. Die Absicht hat­ten sie in ähn­li­cher Form auch vor vier Jah­ren schon for­mu­liert, aber gebracht hat es allem Anschein nach bis­lang nicht sehr viel. 

Es ist sicher Zufall, dass SPD, Lin­ke und Grü­ne an der Weser – die drei Par­tei­en wol­len nach der Wahl im Mai ihre Arbeit fort­set­zen – ihren heu­te vor­ge­stell­ten, künf­ti­gen Koali­ti­ons­ver­trag nur einen Tag nach dem gest­ri­gen „Inter­na­tio­na­len Tag der See­fah­rer“  ver­öf­fent­licht haben. Ohne an die­ser Stel­le auf all die ande­ren (teil­wei­se sicher auch bedeu­ten­de­ren) Details die­ser Ver­ein­ba­rung ein­ge­hen zu wol­len, lässt ein Vor­satz zur mari­ti­men Poli­tik dar­in auf­hor­chen: Man wol­le „Maß­nah­men zur Stär­kung des Schiff­fahrts­stand­or­tes Deutsch­land und der Deut­schen Flag­ge vor­an­trei­ben“, heißt es wört­lich. Das ähnelt stark einer For­mu­lie­rung aus dem vor­an­ge­gan­ge­nen Koali­ti­ons­ab­kom­men: „Wir set­zen uns dafür ein, dass Bre­mer Ree­de­rei­en wie­der ver­mehrt unter deut­scher Flag­ge fah­ren“, hat­te es 2019 geheißen.

Kata­stro­pha­le Zustän­de an Bord vie­ler Handelsschiffe“

Seit 2011 soll jedes Jahr am 25. Juni auf Anre­gung der UN-Schifffahrtsorganisation IMO unter dem Mot­to „Day of the Sea­fa­rer“ die Arbeit jener rund 1,2 Mil­lio­nen Men­schen gewür­digt wer­den, die Tag für Tag an Bord zig­tau­sen­der Han­dels­schif­fe die Funk­ti­on der glo­ba­len Lie­fer­ket­ten gewähr­leis­ten. Selbst­ver­ständ­lich ist so ein Tag immer auch Anlass für wort­rei­che State­ments; ein sehr deut­li­ches kam bei­spiels­wei­se von Maya Schwiegershausen-Güth, Lei­te­rin der ver.di-Bundesfachgruppe Mari­ti­me Wirt­schaft: „Es ist nicht hin­nehm­bar, wenn wir einer­seits mise­ra­ble Arbeits-, Verdienst- und Lebens­be­din­gun­gen zum Bei­spiel von land­wirt­schaft­li­chen Pro­du­zen­ten in Afri­ka, Asi­en und Latein­ame­ri­ka bekla­gen, ande­rer­seits aber kata­stro­pha­le Zustän­de an Bord vie­ler Han­dels­schif­fe hin­neh­men“, so die Gewerk­schaf­te­rin. Und wei­ter kri­ti­siert sie, auch deut­sche Ree­de­rei­en trü­gen lei­der einen Teil der Ver­ant­wor­tung für die­se Situa­ti­on, weil sie ihre Flot­ten mehr­heit­lich aus­ge­flaggt hät­ten, um in Deutsch­land gel­ten­de Stan­dards zu umge­hen: Die inter­na­tio­na­le Gewerk­schaft ITF, der auch ver.di ange­hört, bezeich­net 42 staat­li­che Flag­gen­re­gis­ter als „Bil­lig­flag­gen“, weil die­se „ihren“ Ree­dern abge­schwäch­te Vor­schrif­ten und Regeln oder wirt­schaft­li­che Begüns­ti­gun­gen in sozia­ler, steu­er­li­cher oder öko­lo­gi­scher Hin­sicht bieten.

Ein Blick in die amt­li­che Sta­tis­tik schafft Klar­heit: Aktu­ell sind laut Bun­des­amt für See­schiff­fahrt und Hydro­gra­phie (BSH) 1693 Schif­fe deut­scher Ree­der regis­triert. Nur 271 davon fah­ren unter deut­scher Flag­ge, zieht man Fahrgast- und Sport­fahr­zeu­ge ab, blei­ben knapp 200 Han­dels­schif­fe mit Schwarz­rot­gold am Heck. Davon wie­der­um sind 130 im deut­schen Inter­na­tio­na­len Schiffs­re­gis­ter ein­ge­tra­gen – nach Anga­ben der ITF eben­falls eine „Bil­lig­flag­ge“. Die über­wie­gen­de Mehr­heit der 1422 ver­blei­ben­den Schif­fe deut­scher Ree­der führt die Bil­lig­flag­gen meist von Anti­gua und Bar­bu­da, Libe­ria, Por­tu­gal oder Zypern. Es bleibt zu ergän­zen, dass mit Stich­da­tum 31. März 2023 auf Schif­fen unter deut­scher Flag­ge 4744 deut­sche und 2637 aus­län­di­sche See­leu­te beschäf­tigt waren. Zum Ver­gleich: Ende 2019 waren noch 5554 deut­sche See­leu­te unter deut­scher Flag­ge beschäf­tigt, wei­te­re drei Jah­re zuvor waren es noch wei­te­re knapp 1000 mehr. Es ist bekannt – und immer wie­der kri­ti­siert wor­den –, dass die Ver­hält­nis­se in der deut­schen Han­dels­schiff­fahrt zu dras­tisch sin­ken­dem Inter­es­se jun­ger Men­schen an nau­ti­schen Beru­fen füh­ren und damit zu einem erheb­li­chem Nach­wuchs­man­gel, der zuneh­mend auch ande­re Berei­che der mari­ti­men Wirt­schaft trifft.

Bre­mer Ree­der: Bis zu neun­zig Pro­zent ausgeflaggt?

Zurück nach Bre­men: Detail­lier­te Anga­ben über Zahl und Besat­zungs­stär­ken in der Han­se­stadt regis­trier­ter, unter deut­scher Flag­ge fah­ren­der Schif­fe ste­hen nicht zur all­ge­mei­nen Ver­fü­gung. Zum einen kann das Regis­ter nur ein­se­hen, wer bereit ist, dafür Gebüh­ren zu zah­len – zum ande­ren bekä­me man dann aber auch nur eine Ein­zel­schiffs­aus­kunft, es müss­te also jeder „Pott“ ein­zeln geprüft (und dafür bezahlt) wer­den (ein Zustand übri­gens, den eine sich fort­schritt­lich nen­nen­de Koali­ti­on eigent­lich mal ändern könn­te). Laut Sta­tis­ti­schem Lan­des­amt wird eine Gesamt­sta­tis­tik über regis­trier­te Schif­fe und ihre Besat­zungs­stär­ken nicht geführt. Nach Anga­ben des Rhe­der­ver­eins – so heißt der Landes-Reederverband – befin­den sich rund 250 Schif­fe im Besitz und/oder Manage­ment loka­ler Ree­de­rei­en, knapp 75 Pro­zent davon sind Frach­ter ver­schie­de­ner Typen sowie Tan­ker, bei den übri­gen han­delt es sich um Schlep­per und ande­re Fahr­zeu­ge. Da nicht alle Mit­glieds­ree­de­rei­en auch detail­lier­te Flot­ten­lis­ten ver­öf­fent­li­chen, bleibt also nur eine gro­be Schät­zung übrig: Sie­ben der größ­ten loka­len Ree­de­rei­en haben wir prü­fen kön­nen und kom­men bei etwas mehr als 100 Frach­tern und Tan­kern auf weni­ger als ein Dut­zend Schif­fe unter deut­scher Flag­ge – falls das dem Gesamt­bild ent­spricht, bedeu­te­te das eine Aus­flag­gungs­quo­te von bis zu 90 Prozent.

Klar ist, dass eine Lan­des­re­gie­rung nur sehr begrenz­te Mög­lich­kei­ten hat, ein so heh­res Ziel wie „ver­mehrt unter deut­sche Flag­ge“ tat­säch­lich durch­zu­set­zen – ob mehr als Appel­le durch­grei­fend mög­lich sind, wäre zu prü­fen. Trotz­dem darf die Fest­le­gung im Koali­ti­ons­ver­trag als beacht­lich gel­ten. Der Rhe­der­ver­ein jeden­falls schreibt in sei­nem jüngs­ten Jah­res­be­richt, man füh­le „sich wohl am hie­si­gen Stand­ort“. Bleibt also abzu­war­ten, was die Bre­mer Koali­ti­on bei der 13. Natio­na­len Mari­ti­men Kon­fe­renz im Sep­tem­ber, deren Gast­ge­ber sie sein wird, zur Rück­flag­gung hei­mi­scher Schif­fe initi­ie­ren wird.

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WATERKANT-Redaktion