Die Aufregung am vergangenen Wochenende war groß, nachdem ein Spaziergänger im Watt vor dem Nordseebadeort Schillig am nordwestlichen Ufer des Jadebusens verdächtige Metallteile entdeckt hatte: Schnell stellte sich heraus, dass es Reste alter Weltkriegsmunition waren. Zwar sorgten der Fund sowie die zügig und ohne Unfälle gelungene Bergung durch den Kampfmittelbeseitigungsdienst für viel Aufsehen am gut besuchten Badestrand. Nur: Überraschend war das alles nicht.
Es ist eigentlich nur einer von vielen – zu vielen – Fällen, wie sie an den Küsten von Nord- und Ostsee immer wieder vorkommen. Das Problem der in den Meeren zurückgelassenen beziehungsweise zum großen Teil bewusst versenkten Munitionsaltlasten mit tausenden Tonnen giftiger und gefährlicher Inhaltsstoffe ist seit Jahrzehnten bekannt und wird von der Politik seit ebenso langer Zeit verharmlost, ignoriert, „ausgesessen“: Konzepte, dieses Problem konsequent anzupacken, gibt es bis heute nicht.
Abschließende Untersuchungen der aktuellen Schillig-Funde sind bislang nicht bekannt. Die vom NDR befragten Experten hatten auf eine ehemalige Weltkriegs-Flak-Stellung am Ufer von Schillig verwiesen. Ob aber deren Einsätzen samt eventuellem gegnerischen Beschuss die jüngst geborgenen Munitionsreste zuzuordnen sind, wird sich erst noch zeigen müssen. Denn der Sender dokumentierte parallel eigene Berichte aus 1995 (siehe 08:25 ff.), als – auch in jener Zeit schon kein Einzelfall – Kampfmittelreste vor Schillig geborgen werden mussten. Damals standen am Strand noch amtliche Warnschilder mit dem Aufdruck „Achtung, Munitionsgefahr“. Die im Juni 1995 eingesammelten Altlasten bezeichnete der NDR-Bericht seinerzeit unmissverständlich als Überreste von Munitionsversenkungen „nach 1945 im Gebiet um Wilhelmshaven“.
Für den Koblenzer Meeresbiologen und Umweltgutachter Stefan Nehring, der sich seit Jahrzehnten mit dem Problem der Munitions- und Kampfmittelaltlasten befasst hat, passt das durchaus zusammen. Seiner Auffassung nach könnten auch die aktuellen Funde durchaus aus Versenkungsaktionen der Nachkriegsjahre stammen. Nehring verweist dabei auf einen Bericht des Bund/Länder-Messprogramms für die Meeresumwelt von Nord- und Ostsee von Ende 2011: In einem seiner Anhänge findet sich unter anderem ein Eintrag über ein etwa 75 Hektar großes Gebiet „am Westufer der Außenjade, dem Ortsteil Horumersiel-Schillig … vorgelagert“. Die angegebenen Koordinaten verweisen auf ein knapp 700 Meter vorm Schillig-Strand liegendes Zentrum dieses Gebiets. Dort habe nach dem Krieg ein Wrack gelegen mit Munition an Bord, die sei „insbesondere durch Wellschlag“ verstreut worden. Aus dem Bericht geht nicht hervor, ob es sich um ein bei Kampfhandlungen oder in den Nachkriegsjahren versenktes Schiff gehandelt habe. Das Wrack selbst sei zwar später geborgen worden, es habe aber bis 2007 immer wieder Kampfmittelfunde gegeben.
Für Nehring im aktuellen Fall entscheidend ist aber der Schlussteil dieses amtlichen Berichts: Bis in die 1990er Jahre hat es danach für dieses Gebiet in amtlichen Seekarten einen Warnhinweis gegeben, der sei später entfernt worden. Nach Nehrings Auffassung eine „voreilige Löschung“ – dies um so mehr, als selbst der fragliche Bericht unter Hinweis „auf die zunehmende Offshore-Aktivität und die exponierte Lage an der Außenjade“ im Dezember 2011 empfahl, „die Wiederaufnahme der Signatur in die amtliche Seekarte“ zu prüfen. Das ist nicht erfolgt.
„Zu lange“ schon sei es „die vorrangige Meinung der Politik“ gewesen, dass das Problem der Munition im Meer auf dem Grund der Meere zu belassen sei: Diese scharfen Töne passen zwar auch zum aktuellen Schillig-Fall, stammen aber aus einem wenige Tage zuvor von den norddeutschen Industrie- und Handelskammern (IHK Nord) veröffentlichten Positionspapier. Entschieden kritisierte die Lobbyorganisation darin die Jahrzehnte währende Unterlassung wirksamen Handelns – und verlangt von Bund und Küstenländern „zügige Maßnahmen“ zur Beseitigung der Munitionsaltlasten auf dem Grund von Nord- und Ostsee. Wer sich allerdings wundert über derart scharfe Töne von ausgerechnet dieser Seite, sei auf das Dokument verwiesen: Die Kammern haben immer auch die Interessen ihrer Mitglieder im Blick – und listen daher detailliert Forschungsprojekte und potenzielle Akteure aus den eigenen Reihen mit auf.