Nord- und Ostsee: Nutzung vor Schutz

Allen Ver­trä­gen und Kon­fe­ren­zen zum Trotz: Nord- und Ost­see geht es mise­ra­bel. Ja, es hat sich in ver­gan­ge­nen Jah­ren viel getan in Sachen Mee­res­um­welt­schutz – und nein, es reicht bei Wei­tem nicht, um die­se und ande­re Mee­re gesun­den zu lassen. 

Vor etwas mehr als zwei Wochen hat die OSPAR-Kommission ihren aktu­el­len „Qualitäts-Zustandsbericht“ für den Nord­ost­at­lan­tik (samt Nord­see) vor­ge­legt. Grob zusam­men­ge­fasst, beklagt er vor allem Fak­to­ren wie den „Ver­lust der bio­lo­gi­schen Viel­falt, die Umwelt­ver­schmut­zung und … Kli­ma­wan­del“. Ende Okto­ber wird die Helsinki-Kommission (HELCOM) ihren ent­spre­chen­den Zustands­be­richt für die Ost­see ver­öf­fent­li­chen – und auch er wird Bezug neh­men vor allem auf die gefähr­de­te Bio­di­ver­si­tät: „Der durch mensch­li­che Akti­vi­tä­ten ver­ur­sach­te Ver­lust der bio­lo­gi­schen Viel­falt“, so heißt es in einer bereits vor­lie­gen­den Teil­stu­die, gefähr­de „gan­ze Öko­sys­te­me und die Funk­ti­ons­fä­hig­keit von Nahrungsnetzen“.

Ange­sichts heu­ti­ger Wel­len von unlau­te­ren Kom­men­ta­ren sei an die­ser Stel­le nach­drück­lich betont: Bei­de Stu­di­en sind als unbe­dingt seri­ös ein­zu­stu­fen, schließ­lich han­delt es sich um die sal­dier­ten Erkennt­nis­se vie­ler hun­dert For­schen­der aus allen Anrai­nern bei­der Mee­re: Urhe­ber sind – dies zur Erläu­te­rung – zum einen die so genann­te Oslo-Paris-Konvention, ein Über­ein­kom­men zum Schutz der Mee­res­um­welt des Nordost-Atlantiks, zum ande­ren die Helsinki-Konvention für den Schutz der Mee­res­um­welt im Ost­see­raum. Bei­de wer­den von sepa­ra­ten Kom­mis­sio­nen im Auf­trag der jewei­li­gen Mit­glieds­staa­ten gelei­tet, Abkom­men und Gre­mi­um sind jeweils nach glei­chem Mus­ter benannt – näm­lich OSPAR und HELCOM. Nur tra­gen bei­de Über­ein­kom­men das­sel­be Pro­blem in sich wie ver­gleich­ba­re Rege­lungs­wer­ke etwa der EU: Irgend­wo im jewei­li­gen Ver­trag fin­den sich Fest­le­gun­gen, wonach Maß­nah­men immer auch dem Pri­mat der Öko­no­mie zu unter­wer­fen sind. Das schränkt zwangs­läu­fig die Wirk­sam­keit jedes kon­kre­ten Mee­res­schutz­vor­ha­bens ein – oder kann es auch torpedieren.

Ein Blick in den OSPAR-Zustandsbericht für den Nord­ost­at­lan­tik zeigt exem­pla­risch, was das bedeu­tet (die Resul­ta­te für die Ost­see als Rand­meer dürf­ten eher noch schlech­ter aus­fal­len): Obwohl Mee­re als bedeu­tend für die Bewäl­ti­gung der Kli­ma­kri­se gel­ten – sie kön­nen erheb­li­che Men­gen anthro­po­ge­nen CO2-Ausstoßes spei­chern –, wer­den Initia­ti­ven, ihren in der Ver­gan­gen­heit vom Men­schen krass geschä­dig­ten Zustand zu hei­len, kon­ter­ka­riert, indem par­al­lel zu nöti­gen Sanie­rungs­maß­nah­men stän­dig wei­te­re wirt­schaft­li­che Nut­zun­gen geneh­migt werden.

Nut­zung vor Schutz?

So stellt der OSPAR-Bericht bei­spiels­wei­se fest, dass noch immer hoch­ge­fähr­li­che Gif­te aus den Sedi­men­ten frei­ge­setzt wer­den: Lang­le­bi­ge Gefahr­stof­fe wie PCB, PAK oder Orga­nochlo­ri­de, frü­her rück­sichts­los ins Meer ver­bracht, haben sich im Mee­res­bo­den abge­la­gert und wer­den von dort lang­sam wie­der ins Was­ser abge­ge­ben; das hat laut OSPAR abge­nom­men, ist aber nach wie vor ein Pro­blem. Auch bei Stich­wor­ten wie „Über­dün­gung“ oder „Über­fi­schung“ gibt es in man­chen Berei­chen Ver­bes­se­run­gen, in ande­ren aber deut­li­che Ver­schlech­te­rung. „Die Aus­wir­kun­gen der Fische­rei und ande­rer mensch­li­cher Akti­vi­tä­ten auf die Arten­viel­falt“ sei­en deut­lich spür­bar, zuneh­men­de Lärm­be­läs­ti­gung gebe Anlass zur Sor­ge. Viel­fach wür­den Fisch­be­stän­de dezi­miert, nur um den Fang kon­tra­pro­duk­tiv in der Aqua­kul­tur zu verfüttern.

Das Lärm­pro­blem betrifft die Schiff­fahrt – hier sind OSPAR und HELCOM macht­los, weil das Sache der IMO ist – eben­so wie die Offshore-Windindustrie. Und es meint nicht nur Fisch­be­stän­de und Mee­res­säu­ger, son­dern auch Vogel­po­pu­la­tio­nen; Eis­ente, Sil­ber­mö­we oder Man­tel­mö­we ver­zeich­nen weit­räu­mi­ge Bestands­ein­brü­che. Aber gera­de macht Ber­lin Mil­lio­nen locker für die Ent­wick­lung einer schwim­men­den Rake­ten­start­platt­form. Die Plas­tik­ver­mül­lung ist ein wei­te­res Pro­blem, des­sen Lösungs­ver­su­che sich indes auf Mikro­pro­jek­te wie punk­tu­el­les Abfi­schen oder Ver­zichts­ap­pel­le an Ver­brau­cher beschrän­ken, wäh­rend die Indus­trie immer wei­te­re Pro­duk­te auf den Markt bringt.

Zuge­ge­ben: Dies sind nur Bei­spie­le. Aber sie zei­gen klar, dass es ange­sichts kon­sta­tier­ten Rück­gangs der Arten­viel­falt und anhal­ten­der Ver­schlech­te­rung des mari­nen Lebens­raums mehr braucht als sys­tem­im­ma­nen­te Appelle.

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WATERKANT-Redaktion