Laut einem Bericht des Nachrichtenfernsehsenders ntv hat die globale Handelsschifffahrt innerhalb von nur 80 Tagen mehr als 3000 Container auf den Weltmeeren verloren. Wobei dies nur die offiziell bestätigte Zahl sei, „die Dunkelziffer havarierter Containerschiffe gilt als hoch“.
Ausgangspunkt des Berichts ist eigentlich der momentane Boom im Containerverkehr nach dem pandemie-bedingten Einbruch vor einem Jahr: Wie hier wiederholt berichtet wurde, haben etliche Reedereien im Frühjahr und teilweise Frühsommer vergangenen Jahres erhebliche Flauten im transkontinentalen Handel hinnehmen müssen – nur, um seither derart massive Umschlagssteigerungen zu erleben, dass ihre Jahresbilanzen 2020 überwiegend beträchtliche Gewinne ausweisen. Weltweit, so bilanziert ntv diese Zustände, gebe es „einen Warenstau, die Häfen sind überfüllt“. Alles was schwimmen könne, sei auf dem Wasser, würden „Insider“ berichten: „Angesichts der hohen Nachfrage sind die Frachtpreise teils um das Zehnfache gestiegen“.
Und dann wird dramatisiert: „Die Schiffe sind so voll, dass bei schwerem Seegang offenbar auch mehr Container über Bord gehen“, heißt es weiter. Es stelle sich die Frage, warum solche Vorfälle sich häuften. Bedauerlicherweise bleibt dies aber als Vermutung stehen, wird nicht mit überprüfbarer Statistik belegt. Klar: Zusammenhänge zwischen der Schiffsgröße und der Art und Weise ihrer Beladung einerseits sowie Havarieverläufen (nicht nur) bei schwerem Wetter sind spätestens seit dem Zwischenfall mit der „MSC Zoe“ Anfang 2019 aktenkundig und werden öffentlich diskutiert. Zwar wird die genaue Zusammensetzung der Relation „80 Tage – 3000 Container“ in dem Bericht nicht spezifiziert – eine selbst recherchierte exemplarische Auswahl jüngster Zwischenfälle kommt aber für einen vergleichbaren Zeitraum (<100 Tage) zum annähernd selben Ergebnis:
- Anfang November 2020 meldete das 364 Meter lange und 51 Meter breite Containerschiff „ONE Aquila“ (Baujahr 2018) auf dem Weg von Yantian nach Long Beach den Verlust von mehr als 100 Containern. Den Angaben zufolge war das Schiff in derart schweres Unwetter geraten, dass es fahrplanwidrig nach Tacoma umgeleitet werden musste, um zunächst eine mehrtägige Sicherheitsüberprüfung zu absolvieren.
- Ende November 2020 verlor das 364 Meter lange und 51 Meter breite Containerschiff „ONE Apus“ (Baujahr 2019) im Nordpazifik westlich von Hawaii 1816 Container – nach allgemeiner Auffassung ein Weltrekord, noch nie soll ein Schiff bei einer Gelegenheit mehr Boxen eingebüßt haben. 64 der Container enthielten nach offiziellen Angaben gefährliche Güter wie Feuerwerkskörper, Batterien und flüssiges Ethanol.
- Anfang Januar büßte das 334 Meter lange und 46 Meter breite Containerschiff „Ever Liberal“ (Baujahr 2014) auf dem Weg von Busan nach Los Angeles 36 Container in einem Unwetter vor der Küste Japans, 21 weitere Boxen wurden an Bord schwer beschädigt.
- Im Januar 2021 war das 367 Meter lange und 49 Meter breite Containerschiff „Maersk Essen“ (Baujahr 2010) auf dem Weg von Xiamen nach Los Angeles und verlor 750 Container bei schwerer See.
- Wenige Tage später meldete das 366 Meter lange und 51 Meter breite Containerschiff „MSC Aries“ (Baujahr 2020) auf dem Weg von Los Angeles nach Ningbo im Nordpazifik südöstlich von Tokio den Verlust von 41 Containern.
- Mitte Februar geriet erneut ein Maersk-Schiff in die Schlagzeilen: Das 366 Meter lange und 48 Meter breite Containerschiff „Maersk Eindhoven“ (Baujahr 2010) meldete auf dem Weg von Xiamen nach Los Angeles rund 45 Seemeilen nordöstlich Japans, dass 260 Container über Bord gegangen und weitere 65 an Deck teilweise schwer beschädigt worden seien. Nach Reedereiangaben waren für 3-4 Minuten die Maschinen ausgefallen, der Verlust der Manövrierfähigkeit habe ein schweres Rollen des Schiffes bewirkt.
Unklar bleibt, ob es Zufall ist oder ob die verfügbaren Berichte unvollständig sind – aber es fällt auf, dass alle gelisteten Zwischenfälle dem Transpazifik-Verkehr zuzurechnen sind. Es passiere „immer wieder“, so ntv, dass „Frachter bei schlechten Wetterbedingungen Ladung verlieren“, doch in diesem Winter seien die Verluste deutlich höher als üblich. Laut dem in Washington (D. C.) ansässigen Zusammenschluss „World Shipping Council“ – der nach eigenen Angaben knapp 90 Prozent der globalen Linienschifffahrt repräsentiert – seien zwischen 2008 und 2019 jährlich im Schnitt 1320 Container als über Bord gegangen gemeldet worden. Falls das zutrifft, wäre aktuell in der Tat von einem drastischen Anstieg auszugehen.
Der vollständige Bericht von ntv ist hier einsehbar.