Die Umweltstiftung WWF hat ein weltweites Moratorium für den Tiefseebergbau gefordert und dazu eine entsprechende Studie vorgelegt. Bedauerlicherweise fällt die Stiftung damit einem zivilgesellschaftlichen Bündnis von 15 Organisationen und Initiativen politisch in den Rücken: Denn die hatten sich im Frühjahr 2018 auf eine deutlich schärfere Position verständigt und diese auch veröffentlicht.
„Der kommerzielle Abbau von marinen mineralischen Rohstoffen wie Kobalt, Lithium und Nickel in Tausenden Metern Wassertiefe“, schreibt der WWF Deutschland in einer Pressemitteilung, hätte „aller Voraussicht nach zerstörerische Auswirkungen auf die Ökosysteme und die Artenvielfalt der Tiefsee.“ Allein die Worte „aller Voraussicht nach“ sind schon ein Affront, denn erst vor knapp einem Jahr hatten Forschende des Bremerhavener Alfred-Wegener-Instituts (AWI), des Bremer Max-Planck-Instituts für Marine Mikrobiologie (MPIMM) und des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung in Kiel diese Einschränkung widerlegt und deutlich festgestellt, Tiefseebergbau könne „die natürlichen Ökosystemfunktionen und Mikrobengemeinschaften im Meeresboden langfristig“ beeinträchtigen. In der WWF-Mitteilung wird das nun reduziert auf die Aussage: „Angesichts der Langsamkeit der Tiefseeprozesse ist es unwahrscheinlich, dass sich zerstörte Lebensräume innerhalb menschlicher Zeiträume erholen.“
Vorsorge müsse „deshalb“ das leitende Prinzip für alles Handeln in der Tiefsee sein, schreibt der WWF weiter – und leitet daraus den Ruf nach besagtem Moratorium ab. Das, so die Forderung, müsse gelten, „bis die ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen umfassend verstanden sind und bis bewiesen ist, dass Tiefseebergbau in einer Weise betrieben werden kann, die den effektiven Schutz der Meeresumwelt gewährleistet und den Verlust der Artenvielfalt verhindert“. Und: „Bevor nicht bewiesen ist, dass großflächiger Rohstoffabbau ohne erhebliche Auswirkungen auf die hochsensiblen Lebensgemeinschaften der Tiefsee betrieben werden kann, darf gar nicht erst damit begonnen werden.“
„Blue economy“ lässt grüßen!
Ohne an dieser Stelle auf weitere Details der aktuellen WWF-Position einzugehen – die Studie sowie einige weitere Hintergrundpapiere zum Thema können hier kostenlos heruntergeladen werden –, ist festzuhalten: Eine solche Begründung – die „nachhaltige Nutzung“ der „blue economy“ lässt grüßen! – schwächt die Moratoriums-Forderung an sich und öffnet eine Hintertür zu ihrer Aushebelung. Denn sie macht die Frage, ob die Ausbeutung des Meeresbodens begonnen werden darf, zu einem Machtkampf, der letztlich mit beziehungsweise zwischen Administrationen und mutmaßlich kontroversen Gutachten ausgetragen wird.
15 Organisationen und Initiativen – darunter auch WATERKANT (allerdings nicht der WWF!) – hatten vor knapp drei Jahren in einem engagierten Aufruf die Bundesregierung aufgefordert, „alle Vorhaben und politischen Initiativen zum Abbau mineralischer Ressourcen in der Tiefsee zu stoppen“. Der umfangreiche Forderungskatalog (Klick aufs Bild!) schloss nicht nur den Appell „für eine absolute Reduktion des Rohstoffverbrauchs“ ein, sondern verlangte unter anderem auch explizit, „Tiefseebergbau als Hochrisikosektor von der künftigen Außenwirtschaftsförderung auszuschließen“. Auch sollten „keine zukünftigen Forschungsförderprogramme zu Tiefseebergbau in der Pazifikregion unterstützt werden“ dürfen, der südliche Pazifik dürfe nicht erneut „wie zu den Zeiten der Atombombenversuche zu einem Experimentierfeld für Hochrisikotechnologien werden“.
In diesem Kontext ist es auch bedauerlich, dass die WWF-Forderung nach besagtem Moratorium nahezu ausschließlich auf den Meeresumweltschutz und die Rohstoffwirtschaft (der Industriestaaten) fokussiert ist – und die Frage völlig ausklammert, welche Bedeutung diese Form der Meeresausbeutung für die Menschen der pazifischen Inselstaaten haben wird, haben könnte: Diese Frage geht über „nackte“ Wirtschaftszahlen weit hinaus, denn hier spielt ganz wesentlich auch eine aus der regionalen Entwicklung zu erklärende Perspektive eine Rolle: Im Frühjahr 2014 hat in Bremen der zivilgesellschaftliche Kongress „Ein anderes Meer ist möglich!“ stattgefunden, auf dem unter anderem auch über die Frage des Tiefseebergbaus gestritten wurde. Obwohl die Schlussresolution – übrigens aufgrund langer Debatten unter anderem mit dem damals teilnehmenden WWF – damals auch nur ein Moratorium forderte, spielte die Sichtweise der Betroffenen eine zentrale Rolle im Kongressgeschehen: Es waren die pazifischen Aktivistinnen Maureen Penjueli (Fidschi) und Rosa Koian (Papua-Neuguinea), die als Gäste der Veranstalter ihr eindringliches „Stop sea bed mining!“ unter anderem begründeten mit ihrer eigenen, von der Kultur des Pazifik geprägten Sichtweise, als Menschen der See auch Wächter der See zu sein: „Unsere Heimat liegt zwischen dem Himmel und dem Meer – und alles dazwischen unterliegt unserer Fürsorge.“
Das haben alle zu respektieren, die hierzulande über Meeresausbeutung und Rohstoffe debattieren. Ohne Wenn und ohne Aber – und ohne Moratorium.